: Angst essen Hirn auf
Eine Mehrheit der EU-Bürger hält Israel für eine Gefahr. Ariel Scharon denkt das Gleiche über Muslime in Europa
Es wird wohl so schnell kein Friede sein zwischen der israelischen Regierung und der EU. Gleich nach den Anschlägen auf Synagogen in Istanbul hatte Israels Außenminister Silwan Schalom den Antisemitismus „in gewissen europäischen Hauptstädten“ mit für den Terrorismus verantwortlich gemacht und eine „ausgewogenere Haltung“ der EU im Nahost-Konflikt gefordert.
Nun hat Ariel Scharon, sein Vorgesetzter, noch einmal in die gleiche Kerbe geschlagen. In einem Interview mit dem Internetjournal EUpolitix.com warf er am Montag noch einmal der EU vor, „unausgeglichen“ zu agieren. Überhaupt lehnte Scharon es ab, zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus zu unterscheiden. Einmal im Fahrt, warnte er auch noch vor der wachsenden Zahl von Muslimen in Europa. „Eine noch stärkere Präsenz von Muslimen in Europa gefährdet sicherlich das Leben der jüdischen Menschen“, sagte er.
So schnell also landet man in wenigen Schritten vom Rundumschlag gegen echte und vermeintliche Antisemiten beim ganz gewöhnlichen Rassismus, der die 17 Millionen Muslime in Europa unter Generalverdacht stellt. Sollte bislang jemand Zweifel an Scharons paranoider Geisteshaltung gehabt haben, die aus seiner Politik spricht, dann dürften sie mit dieser Äußerung ausgeräumt sein. Da verwundert es nicht, dass ein gewendeter Neofaschist wie der italienische Vizepremier Gianfranco Fini neuerdings die Nähe zur israelischen Regierung sucht. Wenn es um den Kampf gegen die „Kameltreiber“ im eigenen Land geht, wie Finis Landsfrau Oriana Fallaci die Muslime genannt hat, ist ihm jeder Bündnispartner recht.
Das Problem ist jedoch nicht nur, das Scharon damit Unterstützung von der falschen Seite bekommt, wie israelische Zeitungen kritisieren. Das Problem ist, dass er damit durchaus die Gefühlslage vieler Israelis wie auch von Juden in Europa trifft. Zermürbt von den vielen palästinensischen Selbsmordanschlägen in Israel und verunsichert von der wankelmütigen Haltung mancher europäischen Regierungen angesichts der wachsenden Zahl antisemitischer Übergriffe etwa in Frankreich, die oft von muslimischen Immigranten ausgehen, blicken sie mit Misstrauen in die Zukunft.
Schlimmsten Befürchtungen Auftrieb gab da zuletzt eine Umfrage, die im Oktober im Auftrag der EU-Kommission durchgeführt worden war. 59 Prozent aller Befragten hatten Israel dort als größte Gefahr für den Weltfrieden eingestuft, knapp vor Nordkorea, dem Iran und den USA (53 Prozent). Selten hat eine Meinungsumfrage so hohe Wellen geschlagen und insbesondere in Israel und bei jüdischen Organisationen in aller Welt heftige Reaktionen ausgelöst, wo sie als Bestätigung für wachsenden Antisemitismus gewertet wurde.
Der Konflikt im Nahen Osten ist sicher einer, der die Welt in Atem hält. Ob die Befragten wirklich Israel die Alleinschuld an diesem Konflikt geben wollten, muss offen bleiben: Nach der Rolle der Palästinenser wurde in der Erhebung schlicht nicht gefragt. Ganz sicher aber ist nicht jede Kritik an Israel pauschal mit Antisemitismus gleichzusetzen.
Den gibt es. Wer aber, wie Scharon, den Spieß einfach nur umdreht und sämtliche Muslime als Sicherheitsrisiko bezeichnet, der heizt nur zusätzliche Ressentiments an. DANIEL BAX
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen