berliner szenen Die Briefschreiberin (2)

DER BESUCH

Am Morgen wurde ich von einem aufdringlichen Klingeln geweckt. Die Gerichtsvollzieherin. Hannah stand schon bewegungslos mit einer Kaffeetasse (von Starbucks geklaut) in der Küche, als würde sie überlegen, ob es noch einen Notausgang gäbe. Sie starrte mich an. „Ich mach auf keinen Fall auf, du hast gesagt, für dich wäre das kein Problem!“, sagte sie. Jetzt lange darüber nachzudenken, was genau ich gesagt hatte, um noch eine Lücke für Ausreden zu finden, dafür war zu wenig Zeit. Ich drückte auf den Summer.

Während man schwere Füße im Treppenhaus hörte, konnte ich wenigstens meinen Computer in die Kommode unter die Unterwäsche stecken, während Hannah ihren DVD-Player, ihren Laptop und seltsamerweise auch das Küchenradio und die elektrische Zahnbürste in den Wäschekorb schob. Dann räusperte sich Frau Breunig auf der Schwelle. Leicht verschwitzt begrüßte ich sie mit einem überzogenen, bis zu den Wangen gedehnten Lächeln, als hätte ich gerade alles versteckt, was sie hätte mitnehmen können, und bot ihr auch noch Kaffee an.

Sie war ganz Haar. Ihre aschbraunen Kompromisshaare wellten sich, altmodisch auf Linie geschnitten und rundlich gefönt über ihre gelangweilten Dackelaugen. Sie sah so aus, als hätte die Naivität, die sich noch als Ahnung durch ihren Gesichtsausdruck zog, einen Schock von der Realität bekommen. Leider war sie sehr nett, sonst hätte ich mich hier an dieser Stelle aufregen können, über die Ungerechtigkeit der Lage, des Lebens, des Allgemeinen, der Hässlichkeit, der Sinnlosigkeit, der Behäbigkeit, vor allem meiner. Aber entweder hatte sie keine Zeit oder Mitleid, jedenfalls verschwand sie, ohne etwas mitzunehmen und mit all ihren Haaren. ANDREA HÜNNIGER