Studiengebühren als Härtefall

Die Landesregierung wird ihr Studienkontenmodell nachbessern müssen: Mindener Gericht hebt Anbindung der Gebühren an BAföG-Höchstsatz auf. Profitieren könnten Tausende Langzeitstudenten

AUS MINDENHUBERTUS GÄRTNER

Die Düsseldorfer Landesregierung muss möglicherweise verschiedene Verwaltungsvorschriften zum neuen Studienkonten und -finanzierungsgesetz erheblich nachbessern und verändern. Tausende Langzeitstudenten an den nordrhein-westfälischen Hochschulen könnten als so genannte „Härtefälle“ davon profitieren. Zahlreiche Gebührenbescheide sind vermutlich nicht rechtens.

Dies ist die Quintessenz eines erstinstanzlichen Urteils, das die neunte Zivilkammer des Mindener Verwaltungsgerichts am Donnerstag in einem Musterprozess gefällt hat. Der womöglich wegweisende Richterspruch betraf einen 41 Jahre alten Studenten, der seit dem Wintersemester 1994/95 an der Universität Bielefeld Pädagogik studiert und kurz vor seinem Diplom steht. Um sein Studium zu finanzieren, arbeitet Thomas S. an jeweils drei Wochentagen in einem Metall verarbeitenden Betrieb. Nach allen Abzügen bleibt ihm ein Nettoverdienst von gerade 614 Euro im Monat.

Nach dem neuen Studienkonten und -finanzierungsgesetz, das der Landtag im Dezember 2003 verabschiedet hat, müssen Studenten, die ihr Studium nicht in der eineinhalbfachen Regelstudienzeit abgeschlossen haben, in diesem Jahr erstmals 650 Euro pro Semester bezahlen. Ausgenommen sind unter anderen Studierende, die sich in zeitlicher Nähe zum Studienabschluss und in einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage befinden. Ihnen können die Gebühren zumindest teilweise erlassen werden.

Auch Thomas S. hatte sich auf die Härtefallregelung berufen. Weil der Pädagogik-Student mit seinem Monatseinkommen aber 29 Euro über dem BAföG-Höchstsatz (585 Euro) lag, sollte er auf einen Schlag 174 Euro Studiengebühren bezahlen.

Nach dem Urteil des Mindener Verwaltungsgerichts ist dieser Gebührenbescheid aufzuheben. Die strikte Anknüpfung an den BAföG-Höchstsatz sei unzulässig, sagte Richter Ulrich Osthoff. Bei den so genannten Härtefällen müsse „nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls“ entschieden werden. Zugunsten des Klägers hätten beispielsweise die Höhe der tatsächlichen Miete – konkret 287 Euro – berücksichtigt werden müssen. Die Landesregierung wollte sich zu der Entscheidung bisher nicht äußern. „Uns liegt das Urteil des Verwaltungsgerichts noch nicht vor“, so Isabelle Lorenz, Sprecherin des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums. Eine „seriöse Bewertung“ sei so nicht möglich und könne frühestens Mitte nächster Woche erfolgen.

In zwei weiteren Pilotverfahren wurden die Klagen von Bielefelder Studenten gegen die Studiengebühren jedoch abgewiesen. Der ehemalige ASTA-Vorsitzende, Sven Gödde, (29) hatte sich dagegen gewandt, dass ihm wegen seiner langjährigen hochschulpolitischen Tätigkeit nur drei Semester angerechnet wurden. Das dritte Verfahren betraf einen 1938 geborenen Studenten der Romanistik und Literaturwissenschaft. Er fühlte sich als älterer Mensch diskriminiert. Vergeblich monierte er die Bestimmung des neuen Gesetzes, wonach über 60-Jährige immer die vollen Studiengebühren zu bezahlen haben.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist die Einführung von Studiengebühren nach dem Studienkontenmodell grundsätzlich verfassungskonform. Es gebe auch kein schützenswertes Vertrauen darauf, ein begonnenes Studium unbegrenzt kostenfrei fortsetzen zu dürfen. Für Sonderfälle sehe das Gesetz hinreichende Ausnahmeregelungen vor. Ein Studium für Menschen über 60 Jahre müsse die Allgemeinheit nicht finanzieren. Darüber hinaus sei es sachlich gerechtfertigt, die anrechnungsfreien Semester wegen hochschulpolitischer Tätigkeit auf höchstens drei zu begrenzen, da ein Studium in erster Linie der fachlichen Qualifizierung dienen solle. Auch wurde in allen drei Verfahren die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zugelassen.