Schlimmer als Napoleon auf Elba

Chansonetten waren Teil des Kulturlebens der Zwanzigerjahre. Frauen, die eigene Lieder komponierten, war hingegen kaum Erfolg beschieden. Ein Hörbuch der Sängerin und Forscherin Evelin Förster macht die vergessene Geschichte lebendig

VON SASKIA VOGEL

Marie Madeleines Gedichtband „In Seeligkeit und Sünde“ erreichte eine Auflage von 10.000 Stück. Und doch kennt heute kaum jemand die Lyrikerin, die eigentlich Baronin von Puttkamer hieß und bereits als junges Mädchen in einer Berliner Grunewald-Villa ihren frechen „Champagner-Frappée Song“ dichtete, dass manch einer sie als „obszön“ beschimpfte.

Anfang 20. Jahrhundert standen Unterhaltungskünstlerinnen im Schatten der Männer. Eingezwängt in gesellschaftliche Normen, erlebten sie eine paradoxe Situation: Als Chansonetten auf den Bühnen wurden sie bejubelt – als Textautorinnen und Komponistinnen hingegen waren sie unbekannt. Komponierende Frauen waren selten, noch seltener waren sie erfolgreich.

Mit ihrem Hörbuch „Die Frau im Dunkeln“ hat Evelin Förster nun Künstlerinnen aus den Jahren zwischen 1901 und 1935 ans Licht geholt. Försters Projekt ist nach der gleichnamigen Operette mit Musik von Siegfried Schulz benannt. Eddy Beuth schrieb die Texte – ihre Autorenschaft wird in zeitgenössischen Rezensionen aber kaum erwähnt. Elf Künstlerinnen werden auf der CD porträtiert. Elegante und eigenwillige Damen, die in den Berliner und Wiener Literaturcafés verkehrten und mit Bohemians wie Kurt Tucholsky befreundet waren.

„Die Frau im Dunkeln“ ist eine knisternde Zeitreise in die Kabaretts und prächtigen Vergnügungshäuser der Zwanziger. Förster gibt Einblick in die Biografien der Frauen und erzählt Kuriositäten aus der Zeit der „Federhüte und bis zur Ohnmacht geschnürten Korsetts“. Die Damen der Gesellschaft legten Wert auf Anstand, wussten sich bei süffisanten „Lachchansons“ einer Eddy Beuth aber durchaus zu amüsieren: „Ich hab mich betragen, es ist kaum zu sagen, ich glaube, ich hatte ’nen Schwips!“ Viele Songs auf dem Hörbuch werden von Förster selbst interpretiert. Die 54-Jährige ist ausgebildete Sängerin und stilvolle Chansonette. In ausgestellter Anzughose und mit Wasserwelle tritt Förster deutschlandweit auf.

Bei anderen Chansons des Hörbuchs konnten die Originaltondokumente verwendet werden. So trällert Claire Waldoff mit kratziger Stimme emanzipatorische Gassenhauer: „Wenn ein Mädchen sich zu Hause ja nicht rühren kann, ist es schlimmer als Napoleon auf Elba dran!“ Beim Lauschen der schrulligen Klaviermusik mag der Hörer sich gut in die Atmosphäre der rauchigen Hinterhofkneipen Berlins hineinversetzen, in denen vom „Gold“ der Weimarer Republik wenig zu spüren war. Die Künstlerinnen stammten aus unterschiedlichen Milieus. Trat die drogenabhängige Emmy Hennings in verruchten Tingeltangels auf und verkaufte aus Geldnot sogar ihre Haare, kam Erika Mann, Tochter des Weltliteraten Thomas Mann, aus gutbürgerlichem Hause.

Zehn Jahre hat sich Förster für das Hörbuch „Die Frau im Dunkeln“ auf Spurensuche begeben, über Wasser gehalten hat sie sich mit diversen Stipendien. Dabei musste sie eine klaffende Forschungslücke füllen. Denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 (Erika Mann hatte in ihren Liedern immer weitsichtig vor dem politischen „Untergang“ durch Hitler gewarnt), erlebte die Chanson- und Kabarettkultur eine Zäsur. Viele Künstlerinnen waren jüdischer Herkunft, sie erhielten Berufsverbot oder mussten emigrieren. Wertvolle Originalnoten und Chansontexte gingen im Krieg verloren, die verbleibenden Manuskripte wurden von der Wissenschaft bis in die Siebzigerjahre ignoriert.

Trotzdem ist es Förster gelungen, insgesamt mehr als 3.000 Chansons zu sammeln. Sie kontaktierte Nachlassverwalter, machte Verwandte der Künstlerinnen ausfindig und forschte unter anderen im Kabarett-Archiv in Mainz. Wie viel Glück mitunter nötig war, um eine im Dunkeln eines Pappkartons verschollene Künstlerin wieder ans Licht zu holen, wird auf dem Hörbuch dokumentiert: „Durch einen reinen Zufall stieß ich auf Henry Love. Während eines Gastspiels in Wien suchte ich in einem Antiquariat nach Noten und blätterte in einem Buch mit der Aufschrift ‚Siriusmappe‘. Ich las den Namen Henry Love, dachte mir aber nichts dabei und legte den Notenband wieder weg. Erst in Berlin machte mich der Komponist Alfred Goodman darauf aufmerksam, dass sich hinter dem Namen eine Frau verbirgt. Ein Freund besorgte die ‚Siriusmappe‘. So kamen die ersten Noten und Titel doch noch in meinen Besitz.“

Hinter dem männlichen Pseudonym Love versteckte sich die Wiener Pianistin Hilde Loewe. „Das alte Lied“ von 1927 mit herrlich sentimentalen Versen über die Liebe war anno dazumal im Repertoire eines jeden Orchesters zu finden und wurde prominent von Marlene Dietrich interpretiert. Und doch wurde Loewes künstlerische Leistung – ähnlich wie im Falle Eddy Beuths – nie wirklich gewürdigt.

Evelin Förster: „Die Frau im Dunkeln“. Hörbuch auf zwei CDs, 130 Minuten. Duo-Phone Records – Edition Berliner Musenkinder, Berlin 2009