berliner szenen Im Engen rempeln

Silberkettchen

Dies ist eine Weltpremiere. „Karl Lagerfeld for H&M“. Der Königsschneider hat sich dem Volk zugewandt. Seine eigens für den Kleider-Discounter entworfene Modelinie kam in Deutschland gestern in die Geschäfte, um zehn Uhr. Zehn Minuten nach zehn gibt es schon keine Damenhosen mehr in der H&M-Filiale an der Friedrichstraße. Es sind einfach zu viele Frauen da – dicke, dünne, große, kleine, alte, junge, geschminkte, ungeschminkte. Die monströse Werbekampagne – der Tagesspiegel machte am Freitag mit einer 4-seitigen H&M-Anzeige auf – lockt nicht nur fashion victims.

Eine halbe Stunde vor Ladenöffnung bildete sich auf der Straße eine vibrierende Traube. Im Laden ist das Vibrieren in ein bedrohliches Summen und offenes Rempeln umgeschlagen. Gepuderte Gesichter erstarren, Pupillen weiten sich, Ellbogen stoßen in fremde Rippen. Es ist sehr, sehr eng bei „Lagerfeld for H&M“ auf den wenigen Quadratmetern, die mit Stoffbannern vom restlichen Verkaufsraum abgetrennt sind. Was an den Kleiderständern hängt, ist ein Witz: schwarze Nuttenfummel mit Spitze obendrauf, in schrägen Bögen geschnittene Glockenröcke, die die Hüften breiter machen, schwarze Jacketts, in der Mitte mit einem Silberkettchen zusammengehalten. Peinliche Oma-Mode, heißer Scheiß für Leute, die auch die „Schöne Party“ mögen, mit 80er-Retro aufgepeppt, erstaunlich lieblos.

Lagerfelds Billigkollektion ist beleidigend. Zum Glück ist sie limitiert, sie umfasst sechzig Mischgewebsteile für Damen und Herren in Schwarz und Weiß. Das teuerste ist ein Wollmantel für 149 Euro. Von den Werbefotos schaut der Meister herab, mit weißem Zopf und schwarzer Brille. Vielleicht sollte es eine ironische Geste werden. JANA SITTNICK