Wahlen im Schatten der Elfenbeinküste

Wenn Niger, das ärmste Land der Welt, seinen neuen Präsidenten wählt, haben die Armen nicht alle die Wahl

NIAMEY taz ■ Aghali sitzt mit verschränkten Beinen auf einer Matte im Schatten auf seinem Grundstück. Mit einem Stöckchen malt er in den Sand. Sein Bruder bereitet grünen Tee.

Aghali ist Tuareg und seine Familie lebt in Nigers Hauptstadt Niamey, seit in der großen Dürre von 1984 ihr gesamter Viehbestand starb. Aghali schlägt sich durch: als Gärtner, als Koch, als Musiker. Während Nigers Tuareg-Rebellion 1991 unterstützte er den Kampf seiner Brüder mit seinen Liedern auf der Gitarre. Heute glaubt er an die Demokratie und bezeichnet sich als politisch interessiert.

Doch wenn nächsten Dienstag Präsidentschaftswahlen in Niger stattfinden, wird Aghali nicht wählen können. Den ganzen Tag hat er seine Wahlkarte gesucht, erzählt er. Dort, wo er das letzte Mal wählte, habe man ihn weggeschickt mit dem Hinweis, er müsse sich an ein anderes Wahlbüro wenden, da wiederum hätten sie ihn an einen dritten Ort verwiesen. „Und so geht es vielen Leuten in Niamey. Vielleicht wollen sie Leute wie uns, die weder lesen noch schreiben können, von den Urnen fern halten.“

Aghali glaubt, dass 60 Prozent der Bevölkerung Nigers nicht wählen gehen werden. Auch der Viehzüchter Makao, der aus dem Nordwesten stammt, gehört dazu. „Natürlich möchte ich wählen gehen, ich wüsste ja auch, wen“, sagt er. „Aber ich kann nicht, denn meine Wahlkarte liegt in meiner Heimatgemeinde Tchin-Tabaraden, und ich kann nicht 750 Kilometer fahren, nur um zu wählen!“ Schon vor einem Jahr stellte er einen Antrag beim Bezirksamt, um seine Wahlkarte nach Niamey zu transferieren. Bis heute ohne Erfolg.

Viele Nomaden in Niger glauben, dass sie in der Politik nichts zu sagen haben. Die Stimmen der Nomadenvölker der Tuareg und Peul werden vor allem dem jetzigen Präsidenten fehlen, Mamadou Tandja. Der 66-Jährige ist bei den Viehhaltern hoch angesehen, denn er entstammt selbst einer Viehzüchterfamilie und besitzt große Herden.

Die Nichtwähler loben Tandja. Der Präsident sei ein Garant für Demokratie und Stabilität. Er habe das Land aus der Isolation herausgeführt. Als erstem der ärmsten Länder der Welt wurden Niger in diesem Jahr alle Außenschulden erlassen.

Doch Tandjas schärfster Gegenkandidat Mahamadou Issoufou ist nicht zu unterschätzen. Er meint, Tandja hätte mit den Mitteln aus dem Schuldenerlass mehr bauen können als ein paar Gesundheitszentren. „Was nützen schöne Vitrinen, hinter denen es keine Medikamente oder Krankenschwestern gibt!“, fragt er in seiner Kampagne. Issouffou reist unermüdlich durch das Land, und überall prangen seine in Rosa-Blau gehaltenen Wahlplakate. Plakate des Präsidenten sieht man hingegen wenig.

Dem Libanesen Al Azar, der seit Jahrzehnten in Niamey einen Supermarkt unterhält, wird es bei dem Gedanken an die Wahlen ungemütlich. Mit dem Blick auf den Fernseher, wo gerade Bilder von der Elfenbeinküste laufen, sagt er: „Auch hier können die Wahlen schnell zu Unsicherheit führen! Ein Präsident, der nicht gehen will, und ein Kandidat, der nicht verlieren will, das verträgt sich nicht mit Demokratie.“ SANDRA VAN EDIG