Wahlen zur Rettung des Friedensprozesses

Heute werden in Nordirland ein neues Regionalparlament und eine neue nordirische Regierung gewählt. Auf protestantischer Seite könnte die Democratic Unionist Party (DUP) des radikalen Pfarrers Ian Paisley gewinnen

BELFAST taz ■ Warum die Iren heute wählen sollen, wissen sie selbst nicht so genau. Das Regionalparlament und die nordirische Regierung, die voriges Jahr suspendiert worden sind, weil die Irisch-Republikanische Armee (IRA) angeblich potenzielle Angriffsziele ausspioniert hatte, werden auch nach den Wahlen ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen. Die Ulster Unionist Party (UUP), die größte nordirische Partei, will keine Regierung mit Sinn Féin („Wir selbst“) bilden, solange deren bewaffneter Flügel, die IRA, nicht vollständig abgerüstet habe.

Dabei dachten die Regierungen in London und Dublin im Oktober, sie stünden vor einem Durchbruch bei den Verhandlungen. Nachdem der britische Premierminister Tony Blair den Wahltermin festgelegt hatte, musterte die IRA im Gegenzug eine erhebliche Menge an Waffen und Sprengstoff aus. Danach wäre es an UUP-Chef und Friedensnobelpreisträger David Trimble gewesen, zu erklären, dass er eine Regierung mit Sinn-Féin-Beteiligung bilden werde. Doch er unterbrach die nach tagelangen Verhandlungen festgelegte Sequenz, da die IRA die Internationale Abrüstungskommission zum Stillschweigen über die Menge der ausgemusterten Waffen verpflichtet hatte. Trimble verlangt jedoch Transparenz, auch wenn sich die IRA seit fast zehn Jahren im Waffenstillstand befindet. Bei den protestantisch-loyalistischen Organisationen ist von Abrüstung hingegen keine Rede.

Politische Beobachter wunderten sich, dass Blair sich im Oktober so überaus optimistisch gab, und es dann trotzdem schief ging. Aber vielleicht ist es ja gar nicht schief gegangen. Möglicherweise war der Zusammenbruch der Verhandlungen Teil der Choreografie. Er erlaubte es sowohl Sinn Féin, als auch Trimble, das Gesicht zu wahren und bei der eigenen Basis als nicht zu nachgiebig zu erscheinen. Das könnte beiden Wahlstimmen einbringen, so dass man danach in Ruhe weiterverhandeln kann.

Vor allem Trimble hat diese Wählerstimmen bitter nötig. In der eigenen Partei ist er heftig umstritten, nur noch gut die Hälfte seiner Abgeordneten ist für das Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, auf dem Regionalparlament und Mehrparteienregierung basieren. Außerdem sitzt ihm Ian Paisley im Nacken. Der streitbare Protestantenpfarrer und Chef der Democratic Unionist Party (DUP) ist einer der wenigen nordirischen Politiker, die auch im Ausland bekannt sind. Inzwischen ist er 77, er ist dünner und etwas langsamer geworden, aber er ist noch genauso lautstark und dogmatisch wie früher. Sinn Féin und IRA seien ein und dasselbe, donnert er. „Sie haben das Blut meiner Glaubensbrüder an ihren Händen und sind für eine Regierung unzumutbar – basta!“

Sollte Sinn Féin die gemäßigten Sozialdemokraten auf katholisch-nationalistischer Seite überflügeln, wodurch der Partei das Amt des stellvertretenden Regierungschefs zustünde, müssen ihre Wahlstimmen annulliert werden, verlangt Paisley und fragt: „Würde Blair etwa Bombenattentäter im Irak in die Regierung berufen?“ Der Premierminister ist bei ihm unten durch, seit er „für die Sinn-Féin-Bosse Gerry Adams und Martin McGuinness in seinem Amtssitz in der Downing Street Tee gekocht“ habe.

Für Trimble, der immerhin Unionist ist und für die Einheit mit Großbritannien eintritt, hat Paisley ebenfalls kein gutes Wort übrig. Trimble habe die Unionisten mit der Unterzeichnung des Belfaster Abkommens verkauft, sagt er, deshalb laufen ihm die eigenen Leute in Scharen davon.

Paisley rechnet optimistisch damit, dass seine DUP ihre Abgeordnetenzahl heute von 20 auf 30 erhöhen kann. Dann wäre sie die stärkste Partei im Parlament. Ihr vorrangiges Ziel ist es, das verhasste Belfaster Abkommen neu auszuhandeln. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams warnt, dass es über das Abkommen nichts zu verhandeln gebe, doch genau das machen die Parteien seit mehr als fünf Jahren. Der Text des Abkommens war damals absichtlich schwammig formuliert. Bei der Umsetzung kamen die Probleme.

Für Adams gibt es keine Alternative zum Regionalparlament. Er hat der skeptischen Parteibasis seit zehn Jahren die Regierungsbeteiligung sowohl in Nordirland als auch in der Republik schmackhaft gemacht und dadurch Kompromisse durchgeboxt, die man bis dahin nicht für möglich gehalten hatte. Davon gibt es kein Zurück. Sollte es langfristig bei der Londoner Direktherrschaft über die Krisenprovinz bleiben, wäre auch Adams nicht mehr unangreifbar.

RALF SOTSCHECK