„Ach so, Stuttgarter Nachrichten“

Rückwärts ins Opern-Museum: An der Staatsoper Hannover bedient Brigitte Fassbaender mit ihrer „Fledermaus“ altvordere Sehgewohnheiten

aus Hannover JÖRG MEIER

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ So steht‘s in der Sprechblase über den Köpfen derjenigen, die ihre rechtschaffen entfremdeten Berufe nur durchstehen, weil sie von Zeit zu Zeit Champagner trinken, auf einen Maskenball oder in die Oper gehen. Das ist in Hannover heutzutage nicht anders als in der Fledermaus-Gesellschaft anno 1874. Als beide jetzt zusammen fanden, wurde daraus eine Feier – des langweiligen Geschmacks. Und man feierte vielleicht um so toller, weil gerade bekannt geworden war, dass der unbeliebte Opern-Intendant Albrecht Puhlmann, der dem Publikum zwei Jahre lang solche Fledermaus-Vergnügen vorenthalten hatte, ab 2006 nach Stuttgart wechseln werde.

Zur Fledermaus-Premiere ist die Staatsoper mal wieder bis unters Dach gefüllt, statt Buhs und Trillergepfeife wie jüngst bei den Inszenierungen von Calixto Bieito gibt es nur Jubel. Die süßlichen Parfums im Parkett mischen sich bestens mit den süffigen Melodien von Johann Strauß. Zwischenapplaus bei jeder Andeutung von prunkvollem Bühnenbild und frisch aus dem Fundus gestaubter Kostümprächtigkeit. Als sich Tenor-Parodie Alfred den Kammerton mit einer Mundharmonika gibt und erst ordentlich viel Wein wegsüffeln muss, um die überpfundige Rosalinde im Primadonnen-Glitzergewande anzubaggern, erklingt das Gelächter gewaltig.

Auch das Bühnengeschehen: zur Übersichtlichkeit verschlankt. Standardgänge, viel Stehtheater. Und der Chor immer hübsch brav in den Hintergrund gruppiert, während davor immer brav und sehr gekonnt die Couplets abgeliefert werden. So fühlt sich das Publikum wieder zu Hause in seiner Oper. Und dankt der Regisseurin Brigitte Fassbaender. Die einst weltberühmte Kammersängerin und heutige Intendantin des Tiroler Landestheater Innsbruck hat ihren Job gut gemacht: einen Erfolg inszeniert, das alte Publikum zurückgeholt. Puhlmann im Rückwärtsgang?

Die Fledermaus ist der erste Kompromiss des Intendanten mit der Gesellschaft der Freunde des Opernhauses, die einen „ausgewogenen Spielplan“ gefordert hatte. Unter Puhlmann war die Staatsoper mit drastisch modernem Regietheater gerade in der Hitparade deutscher Opernbühnen auf Platz zwei gewählt worden. Das Hannoveraner Publikum aber will seine Hör- und Sehgewohnheiten nicht umerziehen lassen, Theater nicht als gesellschaftliche Anstalt akzeptieren. „Oper ist mehr als nur schöne Musik“, so Puhlmanns Motto. Bei der Fledermaus bleibt jetzt nicht viel mehr als diese.

Dabei kann das Stück ganz klassisch entzücken, weil es höherer Blödsinn ist und unappetitliche Sachverhalte auf appetitliche Weise serviert. Und selbst die Ironie der Walzerseligkeit noch genussreich ausspielt. Es geht um den Börsenkrach 1873, nachdem die Aufbruchsstimmung in Wien einer Orientierungslosigkeit gewichen war, die man am liebsten im Champagner ertränkte. Was Johann Strauß zum Anlass eines grandiosen Abgesangs auf die Welt von vorgestern nahm und dabei das jugendliche Genre Operette zu einem frühen Höhepunkt und seiner Vollendung führte.

Fassbaenders Ansatz, dabei ordentlich Lustigkeit zu produzieren, wirkt zwanghaft. Die erwartete Dreivierteltakt-Seligkeit, jene surreale Entrückung und Verzückung, stellt sich nicht ein. Dabei hat Fassbaender auf reichlich Lokalkolorit gesetzt. Die Vorgeschichte spielt nicht mehr in einem Park nahe Wien, sondern auf dem Bahnhofsvorplatz in Hannover. Dort soll Dr. Falke einst auf die Ernst-August-Statue hinaufgeklettert sein und heruntergepinkelt haben. Im Gefängnis wird Eisenstein später die Zelle neben einem gewissen Herrn Stratmann angeboten. Als der Gefängnisdirektor „unter der Last der Presse“ zusammenbricht, heißt es: „Ach so, Stuttgarter Nachrichten.“ So witzelt‘s sich dann weiter.

Durch den Erfolg der Fledermaus und den Abgang Puhlmanns könnte jetzt ein Intendant gefordert werden, der nicht von der Zeitgenossenschaft der Kunstform Oper überzeugen, sondern rückwärts marsch ins Opern-Museum, populistisch triumphieren will. „Champagner hat‘s verschuldet“?

nächste Vorstellungen: 27.11. sowie 3.+11.12., jeweils 19.30 Uhr, Oper Hannover