Pop

Familien- statt Krönungsfeier: Justin Timberlake spielte im Velodrom haarscharf an einer Hysterie vorbei

Jedes popkulturelle Fürstentum, so hieß es im Vorfeld, würde seine Abgesandten schicken; nichts anderes als die Krönung des neuen King of Pop stehe bevor. Und tatsächlich waren sie alle gekommen; Mütter mit ihren zahnbespangten Töchtern, solarium-gegerbte Kiss-Fm-Hörer, stadtbekannte House-DJs, schwul wie straigth. Ein Karneval der Popkulturen, an dessem Ende – einem Run auf gigantische Justin-Pin-ups – zumindest eines fest stand: Selten hatte Konsens eine derart auformulierte Bauchmuskulatur. Und dennoch: Die Krönung hatte man sich doch einen Zacken zwingender vorgestellt; den neuen King of Pop den entscheidenen Tick strahlender.

Doch wie wir aus Bunte und Gala wissen, ist die Monarchie ein knallhartes Geschäft, das noch der größten Frohnatur irgendwann die ersten Sorgenfalten ins Gesicht gräbt. Das Protokoll, all die anstrengenden Schrittfolgen, die es auswendig zu lernen gilt, und dann noch das ewige Lächeln. So wirkte auch Justin zu Beginn des Konzertes im fast ausverkauften Velodrom zu angespannt, um als König der Herzen durchzugehen. Die rastlose Choreografie – ein Hochleistungs-Jazz-Dance an der Spitze einer zwölfköpfigen Tänzer-Schar – ließ ihm kaum Luft für Charmeoffensiven. Zu perfekt jammte auch sein Orchester vor sich hin; die Timbaland- und Neptunes-Produktionen, die „Justified“ so herausragend gemacht hatten, erstrahlten plötzlich in einem fragwürdigen Jazz-Funk-Gewand.

Und dann kam er doch, der erste Moment, der eine Ahnung von Justins Strahlkraft vermittelte. Er allein, in schwarzer Lederjacke, ohne Band und ohne Tänzer. Etwas unbeholfen, als würde das Wegbrechen des Boygroup-Korsetts und all der rasierklingenscharfen Moves, doch noch so etwas wie Phantomschmerz verursachen; ein Winken nur, ein schüchternes Lächeln und fast hätte die Halle Kopf gestanden. Von kopfloser Hysterie konnte dennoch keine Rede sein, dem familienfreundlich-flotten Abend fehlten die großen Gesten um als Krönungsfeier durchzugehen. Man konnte es natürlich auch ganz anders sehen und sich wieder schnell den wichtigen Dingen des Lebens widmen. Wie die 18-Jährige, die sich beim SMS-Schreiben über die Schulter blicken ließ: „Justin war der Hammer“, konnte man dort lesen, „der Rest war o. k. Ich glaub, ich fahr jetzt noch zu Dirk.“

CORNELIUS TITTEL