Von unten nach oben

Nun soll ein einfacheres Steuersystem die Haushaltsmisere beheben. Doch was zunächst plausibel wirkt, verschärft Ungerechtigkeiten und kann die Staatsfinanzen nicht sanieren

Ein alternatives Konzept zur Steuerpolitik muss Steuergerechtigkeit zum Ziel haben

Man verliert fast den Überblick. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer Vorschlag zur Steuervereinfachung präsentiert wird. Selbst Eichel ist jetzt auf diesen modischen Trend aufgesprungen, nachdem die CDU das Modell von Merz präsentiert hat. Allerdings: Hinter der „Steuervereinfachung“ verbirgt sich die nächste steuerpolitische Umverteilung von unten nach oben.

Für die Bewertung der aktuellen Debatte ist festzuhalten, dass bereits in der Vergangenheit mittels der Steuerpolitik eine massive Umverteilung von unten nach oben erfolgte. Der Anteil der Lohnsteuer am Steueraufkommen ist in den letzten 25 Jahren von 30 auf 35 Prozent gestiegen, der der Gewinn- und Vermögensteuern hat sich von 29 auf 14 Prozent halbiert.

In dem Vorschlag von Merz sollen die Steuersätze verringert und durch einen Stufentarif ersetzt werden. Allein schon die Behauptung, der Stufentarif sei eine „Steuervereinfachung“, zeigt, dass Merz auf Täuschung setzt. Denn als Steuerexperte weiß er, dass die Komplikationen unseres Steuersystems bei der Bestimmung des zu versteuernden Einkommens und nicht bei der mathematischen Ausgestaltung des Tarifs liegen.

Auf den ersten Blick scheint der von Merz vorgeschlagene Tarif für alle etwas zu bringen. Denn der Stufentarif liegt bei allen Einkommenshöhen unter dem für 2005 geplanten, gegebenenfalls auf 2004 vorgezogenen Tarif. Der Stufentarif kostet 45 Milliarden Euro. Auf fünf bis zehn Milliarden Euro soll der Staat ganz verzichten. Dann drohen weitere Einsparungen bei sozialen Diensten, Kitas und Schulen. Das trifft dann wieder nicht die Besserverdienenden, die nach dem Konzept von Merz die Kosten für das häusliche Dienstpersonal von der Steuer absetzen können. Steuerschlupflöcher werden so nicht geschlossen, sondern geöffnet.

Die verbleibenden 35 bis 40 Milliarden Euro Steuerausfälle sollen durch den „umfassenden Abbau von Steuervergünstigungen und Sonderregelungen“ finanziert werden. Jetzt wird es spannend: Denn gerade einmal ein Drittel des „Abbaus von Vergünstigungen“ betrifft vorwiegend Besserverdienende, Freiberufler und Unternehmer. Der überwiegende Teil – rund zwei Drittel – wird hingegen vorwiegend die breite Masse der Beschäftigten treffen. Allein die Streichung der Entfernungspauschale kostet fünf Milliarden Euro, die volle Besteuerung der Zulagen für Schichtarbeit zwei Milliarden Euro. Abfindungen beim Verlust des Jobs sollen voll versteuert werden. Auch Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten – zum Beispiel als Übungsleiter in Vereinen – sollen voll steuerpflichtig werden. Faktisch werden große Teile der Beschäftigten mit unteren und mittleren Einkommen draufzahlen. Und: von Steuervereinfachung keine Spur. Ein lediger Drucker, der Schicht arbeitet und 40 Kilometer Fahrtweg hat, muss dann monatlich 50 Euro mehr Steuern zahlen. Außerdem will Merz die Gewerbesteuer, die heute noch allein von den Unternehmen gezahlt wird, streichen. Sie soll ersetzt werden durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommensteuer. Dann würden Beschäftigte zusätzlich zur Kasse gebeten.

Die Chance auf ein wahrnehmbares Plus besteht nur für einen Teil der Familien, da ein erhöhter Freibetrag für Kinder von 8.000 Euro das Kindergeld ersetzen soll. Allerdings ist noch unklar, was mit den Familien geschieht, die ein so niedriges Einkommen haben, dass der Kinderfreibetrag zu keiner Erhöhung ihres Nettoeinkommens führt. Entweder stellen sie sich deutlich schlechter als heute, oder es wird letztlich doch wieder ein Kindergeld eingeführt. Mit Vereinfachung hat auch das wenig zu tun.

Der Einkommensmillionär wird sich auch in Zukunft nicht sonderlich anstrengen müssen, um seine Steuern zu drücken. Merz’ Versprechen, Spitzenverdiener sollten künftig angemessene Steuern zahlen, ist unhaltbar. Denn den Spitzensteuersatz will er weiter von heute 48,5 über 42 – so weit die Planung von Rot-Grün – auf 36 Prozent senken. Dem Einkommensmillionär würde alleine die Absenkung von 42 auf 36 Prozent ein Steuergeschenk von mehr als 50.000 Euro im Jahr bescheren. Dabei hat ihm bereits die rot-grüne Steuerreform von 1998 bis 2005 ein Steuergeschenk von 100.000 Euro gemacht.

Merz’ Devise: Bei den Reichen sollen alle Steuerschlupflöcher gestopft werden. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Denn die Reichen sollen nur ein Drittel des Abbaus der Steuervergünstigungen tragen. Ob dies gelingt, ist im Übrigen zweifelhaft. Auch die rot-grüne Reform der Einkommensteuer und der Unternehmensbesteuerung der letzten Jahre sollte mit erheblichen Beschneidungen der Abschreibungsmöglichkeiten einhergehen. Viel ist davon nach massivem Einsatz der Lobbyisten nicht übrig geblieben.

Steuerschlupflöcher werden so nicht geschlossen, sondern es werden neue geöffnet

Viele Gutverdienende sind keine ArbeitnehmerInnen, sondern Freiberufler und selbstständige Unternehmer. Diese haben aber weiterhin vielfältige Möglichkeiten, ihre Steuerlast mit Betriebsausgaben zu drücken. Mit vielen legalen und halb legalen Tricks lassen sich private Ausgaben – die steuerlich nicht absetzbar sind – zu Betriebsausgaben umwidmen. Bedeutsam sind vor allem Methoden zur Verschiebung von Schuldzinsen aus dem privaten in den betrieblichen Bereich. Nur dem Selbstständigen gelingt es, die Schuldzinsen für den Bau eines privaten Hauses ganz oder teilweise in Steuer sparende betriebliche Schuldzinsen zu wandeln. Ein weiteres Beispiel: Von der Streichung der Entfernungspauschale wird der Selbstständige nicht betroffen sein. Er wird weiterhin unbehelligt vom Finanzamt mit seinem Geschäftswagen ins Büro fahren.

Ein alternatives Konzept zur Steuerpolitik muss zuerst Steuergerechtigkeit zum Ziel haben. Steuervereinfachung ist sicher sinnvoll. Wenn aber die Reichen immer weniger Steuern zahlen und Beschäftigte immer mehr, dann nützt das einfachste Steuersystem nichts. Besserverdienende müssen wieder zu einer stärkeren Finanzierung unseres Gemeinwesens herangezogen werden, damit staatliche Leistungen verbessert werden können. Der Spitzensteuersatz, der vor allem die Reichen begünstigt, darf nicht weiter gesenkt werden. Wer viel verdient, muss auch eine umso höhere Steuerzahlung leisten. Dazu gehört, dass beharrlich Steuerschlupflöcher gestopft werden.

Eine Voraussetzung, damit das Konzept von Merz überhaupt ernsthaft diskutiert werden kann, ist die Einfügung einer vierten Stufe mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent ab einem Einkommen von 65.000 Euro. Darüber hinaus muss die Streichung der Freibeträge für die breite Masse der Beschäftigten vom Tisch. Außerdem benötigen auch andere Bereiche des Steuerrechts Reformen. Insbesondere die Besteuerung der Unternehmen muss verändert, die Erbschaftsteuer erneuert, die Vermögensteuer mit einem Freibetrag von 500.000 wieder eingeführt werden. So können 20 Milliarden Euro für die Versorgung der Bevölkerung gewonnen werden. MICHAEL SCHLECHT