Luftakrobaten mit Gottes Segen

Seit zwanzig Jahren leben Wanderfalken in den Türmen des Kölner Doms. Die Greifvogelart, die in Nordrhein-Westfalen als ausgestorben galt, hat sich von Köln aus über das ganze Land ausgebreitet

Von Christiane Martin

Laut schallt der Klang der Glocken durch den Dachstuhl des Kölner Doms. Fast möchte man sich die Ohren zuhalten und fragt sich verwundert, wie brütende Vögel dieses Gedröhn aushalten sollen. „Die stört das nicht. Die sind überhaupt nicht geräuschempfindlich“, sagt Claus Döring. Sein Wanderfalkenpärchen nistet seit Jahren in den Felsnischen der Domtürme.

Döring ist seit seinen Jugendzeiten ein Kenner der Greifvögel. Schon damals hat er Falken abgerichtet. Heute ist der 82-Jährige ein gefragter Experte beim Erzbistum Köln, aber auch beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Vor genau zwanzig Jahren siedelte er die ersten Wanderfalken am Dom an. Vorherige Versuche, eine natürliche Population der damals in Nordrhein-Westfalen als ausgestorben geltenden Vögel zu bilden, waren gescheitert. „Ich hatte einfach den Dreh raus“, erzählt Döring stolz.

Jeden Tag erklomm er zu Fuß den Nordturm, wo vier junge, noch flauschig weiche Wanderfalken mit aufgesperrten Schnäbeln sehnsüchtig auf ihn warteten. Denn er brachte Futter – meist Tauben oder kleinere Singvögel – in genau der richtigen Menge. „Die Jungtiere durften nicht zu schwach werden, aber auch nicht zu satt, sonst hätten sie das selbstständige Jagen nicht erlernt“, beschreibt der „Vater“ der Domfalken die diffizile Aufzucht „seiner“ Jungen.

Nach ein paar Monaten waren die jungen Vögel flügge und drei Jahre später bekamen sie ihren ersten Nachwuchs. Heute leben in Nordrhein-Westfalen ungefähr fünfzig Wanderfalkenpaare. Die meisten sind Nachkommen der Kölner. „Vielleicht sind auch ein paar Zugezogene dabei“, gesteht Döring. „Aber hier am Dom hat alles angefangen. Das ist die Keimzelle“, sagt er.

Die Wanderfalken waren nicht nur menschlichen Nestplünderern, sondern vor allem dem bis in die 70er-Jahre in der Landwirtschaft breit eingesetzten Schädlingsbekämpfungsmittel DDT zum Opfer gefallen. Über insektenverzehrende Beutetiere nahmen sie das Gift auf. Das führte dazu, dass ihre Eierschalen so dünn wurden, dass sie beim Brüten zerbrachen. Strengere Gesetze für den Insektizideinsatz schaffen heute zumindest für die Wanderfalken wieder bessere Lebensbedingungen.

Auch wenn die krähengroßen Vögel sich vom Glockengeläut nicht stören lassen, empfindliche Gäste sind sie trotzdem. Vor allem während ihrer Brutzeit im Frühjahr müsse man sie in Ruhe lassen, empfiehlt Döring – was wegen der ständigen Bauarbeiten am Domgemäuer gar nicht so leicht zu realisieren sei. Deshalb sieht er seine Hauptaufgabe als ehrenamtlicher Falkenwart auch darin, einen engen Kontakt zu den Dombauarbeitern zu halten. So schafft er eine Lobby für seine Schützlinge. „Die Zusammenarbeit klappt gut. Die Bauarbeiter nehmen Rücksicht auf die Wanderfalken und manche sind selbst inzwischen interessierte Falken-Fans“.

Unvermeidbar war aber trotzdem, dass der Horst des Domfalkenpaares kürzlich wegen Restaurierungsarbeiten vom Nordturm in den Südturm umgesiedelt werden musste. „Kein so idealer Standpunkt“, findet Döring. Dort strömen die Besucher zu dicht vorbei. Im Moment residieren seine gefiederten Freunde deshalb lieber in den Gemäuern von Groß Sankt Martin. „Aber die kommen schon wieder“, zeigt der Falkenwart sich optimistisch. Und wenn nicht, dann sei es auch nicht so schlimm. Hauptsache der Fortbestand der Art hier in der Gegend sei gesichert.