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: Streuselkuchen-TV

Nach „Dschungelshow“ & Co. haben die Fernsehsender schon wieder einen neuen, sehr netten Trend entdeckt

Der Untergang des Abendlandes ist so alt wie das Fernsehen. Mindestens. Zuletzt war es das so genannte „Ekel-TV“ (Stern, Bild, Spiegel) oder „Ekelfernsehen“ (Süddeutsche, BamS), das nach „Krawall-TV“ (Neue Osnabrücker Zeitung) und „Schmuddel-TV“ (Edmund Stoiber) die Untergangsstimmung anheizte.

Doch seit laut Bild zuletzt sogar mehrfach „das letzte Tabu im deutschen Fernsehen“ gefallen und nun sogar die Dschungelshow vorbei ist, entwickelt sich bereits was Neues. Ja, schon jetzt zeigen uns die Sender hie und da Sachen, wie wir sie so im deutschen Fernsehen noch nie gesehen haben!

Ein Beispiel: Auf RTL2 gibt es eine Sendung namens „Frauentausch“. Das ist nicht neu, nein. Für gewöhnlich tauschen darin zwei Frauen eine Zeit lang die Familie und sagen dann: „O Gott, ist das schmutzig hier!“ oder „O Gott, ist das sauber hier!“ Die Kinder sagen: „Das Essen schmeckt nicht!“ Und die Familienväter sagen lieber nix, und wenn doch, gibt’s Streit, fließen Tränen. So geht „Frauentausch“ – oder ging. Denn am vergangenen Donnerstag zog Mariola (38) in die Familie von Susanne (36) und umgekehrt. Und was geschah? Susanne fand Mariolas Familie nett, deren Wohnung nett und hatte eine nette Zeit, während Mariola Susannes Familie und Wohnung sogar so nett fand, dass sie dauernd sagte: „Ich bleibe einfach hier, was meint ihr?“ Dann war die Sendung vorbei.

Anderes Beispiel: Die ARD zeigt dort, wo bislang „Herzblatt“ auf dem Programm stand, eine neue Show namens „Hausbesuch – Stars unter Druck“, in der ein „Star“ für ein paar Tage bei einer Reihenhausfamilie einzieht. Am Freitag lief die erste Folge, und das Konzept ist bescheuert. Aber: In der ersten Sendung war Annette Frier der „Star“ und bei Familie Weitzl zu Gast. Familie Weitzl war nett, hat drei nette Töchter, ein nettes Reihenhaus mit Gärtchen, und gute Laune. Frier auch. Und so konnte man eine halbe Stunde zusehen, wie alle nett waren, gute Laune hatten und sich blendend verstanden.

Schaltete man hernach auf Sat.1, konnte man dort in der Doku-Soap „Kämpf um deine Frau!“ ein paar Macho-Männern beim Streuselkuchenmachen zusehen. Und von durch und durch warmherzigen Formaten wie der neuen ARD-Vorabendserie „Gutshaus 1900“ (oder den „Gilmore Girls“ auf Vox) wollen wir hier gar nicht erst reden!

Nein, nicht mal mit dem verlogenen Heile-Welt-Fernsehen von „Nur die Liebe zählt“ oder „Forsthaus Falkenau“ hat dieses aufrichtige, unspektakuläre Bessere-Welt-TV irgendwas gemein. Und wir sind gespannt, wann und wie die TV-Trendscouts von Spiegel und Bild daraus endlich Titelstorys backen.

CHRISTOPH SCHULTHEIS