Zweiter Fehlstart im Verfahren gegen Guzmán

Auch am zweiten Prozesstag muss das Verfahren gegen den einstigen peruanischen Terrorchef ausgesetzt werden. Grund ist diesmal nicht der Auftritt des Angeklagten, sondern ein handfester Streit zwischen Richter und Staatsanwalt

BUENOS AIRES taz ■ Auch am zweiten Prozesstag gegen den ehemaligen Anführer der Terrorgruppe „Leuchtender Pfad“, Abimael Guzmán, kamen die Staatsanwälte am Freitag nicht dazu ihre Anklageschrift vorzulesen. Wieder gab es im Gerichtssaal turbulente Szenen. Protagonist war allerdings nicht der Angeklagte Guzmán. Vielmehr lagen sich der Staatsanwalt und der Richter in den Haaren.

Dabei waren die Behörden bemüht gewesen, die Ordnung zu wahren. Früh am Morgen erwartete die peruanische Polizei die Prozesszuschauer. Reporter und Besucher mussten eingehende Untersuchungen über sich ergehen lassen.

Nachdem Guzmán am ersten Verhandlungstag eine Woche zuvor Gelegenheit hatte, den Volkskrieg hochleben zu lassen, ließ die Regierung den Generalstaatsanwalt auswechseln. Es sollte verhindert werden, dass Guzmán abermals seinen öffentlichen Auftritt als Angeklagter zu Agitationszwecken nutzen werde. Aus Sicherheitsgründen war es während des Prozesses den Zuschauern verboten, zu tuscheln, sich von ihren Stühlen zu erheben oder aufs Klo zu gehen. Zuwiderhandlungen wurden sofort geahndet.

Schon nach den ersten Minuten kam die erste Überraschung. Nachdem ein beisitzender Richter sich selbst für befangen erklärte, wollte der Staatsanwalt auch den vorsitzenden Richter Dante Terrel nach Hause schicken. Terrel habe den fehlgestarteten Prozessauftakt vor einer Woche zu verantworten, als Guzmán und seine Mitangeklagten mit gereckten Fäusten die Revolution feierten. Als Richter sei Terrel dem Fall nicht gewachsen.

Zuvor hatte der peruanische Generalstaatsanwalt bemängelt, Terrel habe als Anwalt in der Vergangenheit Terroristen verteidigt. Das wollte Terrel nicht auf sich sitzen lassen und sprach von einer „Verleumdungskampagne“. Als Rechtsanwalt könne er verteidigen, wen er wolle.

Amüsant war das vor allem für Guzmán und seine Mitstreiter, sie wandelten sich von Angeklagten in einem Terroristenprozess zu Zuschauern eines Streits zwischen Ankläger und Richter. Ihre Anwälte mischten eifrig mit und versuchten den Richter zu unterstützen. Nachdem das Chaos komplett war, wurde der Prozess erneut vertragt und soll heute in die dritte Runde gehen.

Über die Absetzung des vorsitzenden Richters wurde noch nicht entschieden. Prozessbeobachter sprachen von einer „Schande“ für die peruanische Justiz, die mit enormen Korruptionsvorwürfen zu kämpfen hat.

Aber nicht nur im Gerichtssaal gab es Turbulenzen. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten die Mütter von durch Guzmáns „Leuchtenden Pfad“ getöteten Polizisten und Soldaten. Sie forderten eine harte Strafe für den Terrorchef. Dabei gerieten sie mit Angehörigen von inhaftierten Exguerilleros aneinander, die sich für bessere Haftbedingungen einsetzten. Der Streit eskalierte, als die Angehörigen die Gefangenen des „Leuchtenden Pfads“ als „politische Häftlinge“ bezeichneten, die Polizistenmütter sie als „Mörder“ beschimpften.

Guzmán war Anführer der maoistischen Terrorgruppe „Leuchtender Pfad“, die 1980 Peru den Volkskrieg erklärt hatte. Dabei gingen die Guerilleros äußerst grausam vor. Sie griffen Dörfer ein, zündeten Autobomben und massakrierten Campesinos. Schätzungsweise 30.000 Menschen wurden zwischen 1980 und 2000 Opfer der Maoisten.

Guzmán wurde 1992 gefasst und von einem Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Während des Prozesses saßen seine Richter hinter getönten Scheiben, Zuschauer gab es keine. 2003 entschied das Verfassungsgericht, dass Guzmáns Rechte als Angeklagter bei dem Verfahren verletzt worden seien und sein Prozess neu aufgerollt werden müsse. INGO MALCHER