Das bessere Amerika

Kanada und die USA sind ungleiche Nachbarn. Die einen sind populär, die anderen mächtig. Die Entfremdung nimmt zu

VON MICHAEL LÜNSTROTH

In Nordamerika macht gerade eine E-Mail die Runde. Sie zeigt eine neue Landkarte des Kontinents: Die Staaten, in denen bei der US-Wahl mehrheitlich demokratisch gewählt wurde, werden darin zu kanadischem Territorium erklärt. Die Sehnsucht nach einer liberalen Führung ist in demokratischen US-Kreisen offenbar so groß, dass sie nicht mehr vor einem Austritt aus „god’s own country“ zurückschrecken. Hier das liberale Kanada und dort die reaktionären USA – dieses Bild ist nicht erst seit der Wiederwahl von George W. Bush in den Köpfen der Menschen.

Das ist nur ein neues Kapitel in einem alten Streit zwischen den beiden amerikanischen Nachbarn. Die USA sind erfolgreicher, Kanada ist beliebter. Und politisch korrekter. Schon mal jemanden sagen gehört: „Och, Kanadier finde ich blöd“? Eben. Wenn US-Bürger hingegen nicht gleich erklären, dass sie zwar Amerikaner, aber natürlich keine Bush-Anhänger seien, dann werden sie nur noch mit Kopfschütteln bedacht. Das „saubere Land“, wie Kanada in der Sprache der Cree-Indianer heißt, ist so beliebt wie kaum eine andere Nation. Viele Europäer sehen in Kanada das bessere Amerika. Ein Amerika, das nicht kriegführend durch die Welt zieht, sich noch sozialstaatliche Elemente bewahrt hat und nicht so paranoid wie die USA ist. Ein kuscheliges Wohlfühl-Amerika eben.

Die beiden Länder Nordamerikas pflegen eine unterkühlte Zwangspartnerschaft: Die Amerikaner machen sich über die Provinzialität und die Langsamkeit der Kanadier lustig und im Gegenzug spotten Kanadier über das blinde Draufgängertum und die Unbeliebtheit der USA. Besonders Bushs Politik nach den Terroranschlägen vom 11. September hat viele Kanadier vergrätzt. Das Freund-oder-Feind-Raster, mit dem der US-Präsident seither die Welt sondierte, entfremdete die kanadische Bevölkerung von ihrem Nachbarn. Stephen Newman, Politologe an der York-Universität in Toronto, geht davon aus, dass der gefühlte Graben zwischen den Ländern in den nächsten vier Bush-Jahren noch größer werden wird.

Abseits dieser gepflegten und über Jahre gewachsenen Animositäten gibt es handfeste Konflikte: Die US-Intervention im Irak, der Umgang mit den indianischen Ureinwohnern und jetzt der Kampf um den Zugang zu den Wasservorräten der Großen Seen. Die Rollen in diesen Differenzen sind zumeist klar verteilt: Die USA, die machtpolitisch etwas durchsetzen wollen – oft koste es, was es wolle. Und Kanada, als der kleine unbeachtete Nachbar, der nicht weiß, ob er rebellieren oder gehorchen soll.

Die Wirtschaftsmacht der USA und der Hegemonialanspruch des Landes drängten Kanada immer wieder an den Rand der globalen Wahrnehmung. Folge davon ist ein beachtlicher Minderwertigkeitskomplex im Umgang mit den Vereinigten Staaten. Erst seit dem Verblassen des amerikanischen Ruhms in der Welt gelingt die Emanzipation besser. Das Land der Bären und Elche hat sich als ein anderes Amerika profiliert, als eine Alternative zu dem raubeinigen und rücksichtslosen Uncle Sam. Eine kleine Geschichte aus der kanadischen Alltagswelt dokumentiert sehr deutlich die ständigen Abgrenzungsbemühungen gegenüber den USA. Selbst ein durch und durch amerikanisches Unternehmen wie McDonald’s gibt sich in Kanada kanadisch:Das Markenzeichen des Fast-Food-Imperiums, das gebogene M, trägt in allen kanadischen Filialen ein kleines rotes Ahornblatt in der Mitte. Das Ahornblatt wird so zum Zeichen für ein besseres Amerika. Vor allem dann, wenn es sich nicht willfährig den Interessen des Nachbarn ergibt.