Streit um die Großen Seen

Nicht nur in Afrika, sondern auch in Nordamerika werden schwindende Wasserreserven zum Konfliktstoff. Kuscht Kanada wieder vor den USA?

BERLIN taz ■ „Ich kann nur hoffen, dass unsere Regierung nicht wieder einknickt vor den USA“, sagt Sara Ehrhardt und ihre Stimme klingt fast schon resignierend. So, als ob sie genau das erwarte, was sie befürchtet. Sara Ehrhardt ist 25 Jahre alt und engagiert sich seit über einem Jahr für den Council of Canadians, eine Freiwilligen-Vereinigung, die die Interessen der kanadischen Bürger vertritt. Gerade kämpft sie um den Erhalt des weltgrößten Süßwasserreservoirs in den Großen Seen. Deshalb auch der Konflikt mit den USA und die Angst vor dem Duckmäusertum der eigenen Regierung.

Grob gesagt geht es darum, wer wann und wie oft die Reserven der Seen anzapfen darf. Die bestehende Gesetzgebung steht zur Disposition und Sara Ehrhardt und ihre Mitstreiter sorgen sich darum, dass die Interessen der Unternehmen mehr berücksichtigt werden könnten als die Belange der Umwelt. Da die kanadisch-amerikanische Grenze in den Seen verläuft, müssen die beiden Länder zusammenarbeiten. Und das stellt sich als immer schwieriger heraus.

Fünf Seen sind Teil des Beckens der Großen Seen: Lake Superior, Lake Michigan, Lake Huron, Lake Erie und der Lake Ontario. Um zu verstehen, wie weitreichend die Folgen einer neuen Gesetzgebung wären, sollte man sich zunächst mal die Größenverhältnisse klar machen: Der Lake Ontario ist der kleinste See und dennoch: der Bodensee würde immer noch knapp vierzig Mal hinein passen. Die gesamte Fläche aller fünf Seen ist größer als Großbritannien.

Es ist das größte Süßwasserreservoir der Welt und weckt diverse Begehrlichkeiten. Vor allem Städte im trockenen Westen der USA, die ihre eigenen Wasserreserven zu Neige gehen sehen, werfen ein Auge auf die vollen Becken der Seen. Nach den derzeitigen Gesetzen ist die Entnahme des Wassers stark restringiert. Ein neuer Gesetzentwurf soll das ändern. Gegen diesen Great Lakes Annex kämpft der Council of Canadians.

„Die ökologischen Konsequenzen werden verheerend sein“, meint Ehrhardt. „Durch die globale Erwärmung sinkt der Pegel der Seen ohnehin schon. Erhöht man die Möglichkeit der Wasserentnahmen, wird das Trockenlegen des Wasserspeichers weiter vorangetrieben.“

Nur ein Prozent des Wassers gilt als erneuerbar. Das heißt, wenn jährlich nur ein Prozent des Wassers entnommen würde, käme das einem Gleichstand bei Entnahme und Erneuerung gleich. Wissenschaftler schätzen allerdings, dass bereits jetzt dieses eine Prozent abgezapft wird und somit die Grenzen der Erneuerbarkeit erreicht sind. Jede zusätzliche Entnahme geht zu Lasten des Ökosystems See. Im Detail bedeutet das: Ein Absinken des Wasserpegels führt zu weniger Platz für Pflanzen und Lebewesen im und am See, was wiederum auf einen Verdrängungswettbewerb hinausläuft und den Verlust der Artenvielfalt in diesem Areal zur Folge hätte. Nicht nur der Lebensraum Wasser wäre bedroht, auch anliegende Uferwälder und Flüsse wären betroffen. Der Zusatz zum Gesetz würde den Prozess deutlich beschleunigen.

Der Entwurf wurde von den acht an den Seen liegenden US-Staaten in Zusammenarbeit mit den kanadischen Provinzen Quebec und Ontario erarbeitet. Bei einem Mehrheitsstimmrecht ist die Sorge von Sara Ehrhardt berechtigt, dass Kanada demnächst schlicht übergangen wird. Nun könnte man meinen, dass dies nur gerecht ist: Schließlich sind auch mehr US-Staaten betroffen als kanadische Provinzen. Diese Argumentation will Ehrhardt nicht zulassen: Sie fordert ein gleichberechtigtes Abkommen zwischen den USA und Kanada und kein Acht-gegen-zwei-Spiel der Bundesstaaten und Provinzen. „Dazu müsste sich endlich auch mal unsere Regierung zu Wort melden“, fordert Ehrhardt.

Die kanadische Regierung um den Premier Paul Martin schweigt bisher beharrlich. Lediglich ein parlamentarischer Ausschuss ist berufen worden, der sich mit dem Thema befassen und Ende November berichten soll.

Für Ehrhardt ist das viel zu wenig. Aber noch hat sie die Hoffnung auf eine unterstützende Stimme aus Ottawa nicht aufgegeben. LÜN