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„Aus dem Tod nicht die falsche Lehre ziehen“

Nach dem Tod des Gleisblockierers Sébastien Briat kam der Castor-Transport so schnell durch Deutschland wie noch nie. Darf dies die Folge des Unglücksfalls sein? Der Bremer Atomkraftgegner Bernhard Stoevesandt, der sich 1998 selbst an die Schienen gekettet hat, meint: nein

„Wenn solche Blockaden nicht mehr möglich wären, müssten wir uns was andere ausdenken“

Seit dem Tod des französischen Gleisblockierers Sébastien Briat beim Castortransport am Sonntag vergangener Woche im Elsass ist die Debatte über Blockaden neu entbrannt – in der Anti-AKW-Bewegung wie auch in der Öffentlichkeit. Sie waren selbst im Wendland, als die Nachricht eintraf, dass der Castor-Zug einen Demonstranten überfahren hat. Was habt Ihr an diesem Abend diskutiert? Berhard Stoevesandt: Es war ja nicht das erste Mal, dass sie in Blockaden gefahren sind. Wir waren schockiert, aber wir haben auch gefürchtet, dass jetzt die Debatte los geht, dass man an so einem Ausgang selbst Schuld hat – wenn man sich an die Gleise kettet. Unsere Position ist dagegen: Wer Atomanlagen betreibt, nimmt in Kauf, dass Menschen ums Leben kommen. Schon seit 1996 beobachten wir, dass die Transporte immer wieder in Menschengruppen fahren.

Dass der Zug am Sonntag nach dem Tod von Sébastien B. weiter gefahren ist, hat Sie nicht überrascht?

Nein, das war uns absolut klar. Die politischen Kosten, den Transport anzuhalten, wären zu hoch gewesen. Aber es bleibt ein Skandal: Da zählt ein Menschenleben nicht viel.

Am nächsten Tag stand in den Zeitungen, was Sie alle befürchtet hatten: Dass Blockier ihr Leben riskieren – und dass die Sache kein Spiel ist. Was haben Sie gedacht?

Wir finden es nicht angemessen, Blockaden so darzustellen. Keiner von uns hält das für ein Spiel. Es geht übrigens nicht nur um unser Leben, sondern auch um das der anderen, die an der Technologie letztlich krepieren. Es gibt ein dringendes Interesse der Regierung und anderer, dass dieser Widerstand endlich aufhört. Dass die Pro-Atom-Lobby diesen Todesfall nutzen würde, um politisch Kapital daraus zu schlagen, war uns klar.

Sofort nach dem Unglück wurde gewarnt: wieder auf die Schiene zu gehen, sei falsch. Kanalisiert sich in solchen schnellen Forderungen nicht auch die Angst, die viele erlebt haben – während sie oder ihre Freunde auf den Schienen saßen?

Es ist eine Sache, wenn Robin Wood sowas für bestimmte riskante Streckenabschnitte sagt – und eine andere, wenn die Grüne Rebecca Harms sowas äußert. Harms hat sich selbst nie angekettet und sie tut das auch im Moment nicht, sonst kriegt sie Ärger mit ihrer Partei. Leute, die jetzt das Ende solcher Blockaden fordern, ziehen die falsche Lehre aus dem Unglück. Alle anderen werden die Risiken abwägen – wie bisher.

Was bedeutet die öffentliche Meinung für jemanden, der auf der Schiene sitzt – und dabei sein Leben riskiert?

Für jeden Blockierer ist es wichtig zu wissen, dass ein Menschenleben noch zählt. Wenn hinterher eine Debatte losgeht, in der das Menschenleben gering geschätzt wird, wird es irgendwann unmöglich, solche Aktionen noch zu machen. Wer sagt, „die handeln sowieso unverantwortlich“, verschärft für uns die Lage. Dem Satz folgt nämlich der Gedanke: Auf die müssen wir keine Rücksicht nehmen. Das darf nicht passieren. Dann wären solche Blockaden nicht möglich und wir müssten uns etwas anderes ausdenken.

Erst im Lauf der Ermittlungen wurde jetzt der Hergang des Unglücks etwas klarer. Danach gab es eine Stopp-Gruppe, die Blockierer waren also gewarnt, konnten vor dem schnellen Zug aber kaum flüchten – und Sébastien Briat soll vom Luftzug des Zuges auf die Gleise gedrückt worden sein. Was folgt aus alldem?

Wir wissen, dass es nie eine absolute Sicherheit geben kann – vor allem, wenn der Transport nicht bremst. Wenn er Zeitverzug hat, heizt er gegebenenfalls durch. Es hätte ja irgendwas auf der Schiene sein können – dann wären die mit diesem hoch gefährlichen Transport bei Tempo 100 womöglich gegen eine Brücke gefahren. Ich habe auch nach dem Tod von Sébastien am Dienstagmorgen erlebt, dass die Transporte auf der Straße nicht anhalten. Es hieß, sie hätten Probleme, die Bremsen wieder zu lösen, das würde zu lang dauern.

Sie sind selbst als Gleisblockierer verurteilt worden – im Straf- und im Schadenersatzverfahren. Ist das bezahlt?

Die 6.230 Mark an die Bahn sind bezahlt, die rund 6.000 Mark fürs Strafverfahren – 1.200 davon Bußgeld – sind noch nicht ganz zusammen. Aber ich bin mit dem Ablauf der Verfahren nicht einverstanden und habe deswegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen. Da liegt das Verfahren jetzt. Fragen: Eva Rhode

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