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Mit Musik geht alles besser

KRISENTHEATER Nicolas Stemann hat Elfriede Jelineks Komödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ in Köln uraufgeführt

ELFRIEDE JELINEK

■ Katastrophen und Krisen haben die Autorin aus Österreich schon immer interessiert und vor allem: Wie der Mensch sich rausredet aus seiner Schuld und Verantwortung. Das in langen Satzkaskaden zu durchdringen, darin ist Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, geboren 1946, Meisterin. Vor dreißig Jahren wurde ihr erstes Stück uraufgeführt; doch noch immer sind ihre langen Texte eine besondere Herausforderung für jedes Theater. Denn wie eine Puppe in der Puppe hat jedes Jelinekstück das Potenzial zu vielen Stücken. Nicolaus Stemann, der Regisseur der „Kontrakte des Kaufmanns“, hat schon Jelineks „Ulrike Maria Stuart“ und weitere ihrer Stücke inszeniert. Foto: Archiv

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es ist vollbracht. Das Geld verbrannt. Die 99 Seiten, die das Manuskript der Kölner Fassung von Elfriede Jelineks Stück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ umfasst, sind in vielfacher Ausgabe nach und nach auf dem Bühnenboden des Schauspielhauses gelandet, der zum Schluss in Köln von Papieren übersät ist wie die Wallstreet nach dem Börsencrash von 1929 von wertlosen Aktien.

Geld ist sexy. So sexy mindestens wie Maria Schrader und Patricia Ziolkowska, die ihm ihre roten Lippen und süßen Stimmen leihen und uns schön wie der Teufel verführen wollen, unser Kapital, wenn wir denn eins hätten, bei ihnen anzulegen. Aber das Geld ist nicht nur der Teufel, das Geld ist auch Gott in dieser reich orchestrierten Messe, als die Nicolas Stemann Jelineks Text zelebriert. „Das Geld ist tot und wir haben es getötet“, variiert ein Schauspieler Nietzsche. Sie nageln das Geld ans Kreuz und reden mit Predigerstimmen und Engelszungen, um weiter anzulegen.

Dass sich in der rituellen Forderung nach einem Opfer die Rhetoriken von Banken und Politikern wie ein Ei dem andern gleichen, legt die Kölner Inszenierung sehr schön offen. Dabei gehören die gesprochenen Sätze nicht nur der Vergangenheit an. Klagende Stimmen von betrogenen Kleinanlegern eröffnen das Stück. Die Hoffnung einer individuellen Absicherung mischte sich mit dem spekulativen Interesse der Banken. Die Inszenierung kommt einem vor wie ein Protokoll der täglichen Wirtschaftsnachrichten.

Sie nageln das Geld ans Kreuz und reden mit Predigerstimmen und Engelszungen, um weiter anzulegen

Elfriede Jelinek schrieb den Text im August 2008. Man hätte es für poetisch übersteigerte Kassandrarufe gehalten, wenn sich nicht kurz darauf die Wirtschaftskrise offenbarte. Sogleich verabredeten das Thalia Theater Hamburg und das Schauspiel Köln mit der Autorin, diesen Text anstelle der geplanten Produktion von „Rechnitz“ zu inszenieren. „Textumsetzungsmaschine“ nennt Stemann diese Inszenierung, die stark von Musik, melancholischem Pop, Neoklassik und sakralen Gesängen gestützt wird. Polemisch lässt Stemann in einer Trommelshow, deren wütender Gestus zumeist für die Authentizität der Straße stehen soll, die Schauspieler mit den Pappmasken der Mächtigen, unter anderem von von Guttenberg, Steinbrück, Bush und Obama, agieren. Und lässt sie alles in Klump hauen.

Gegen die Tendenz, zu zerfasern, sich aufzulösen, setzt Stemann ein Timing, das an dem drei- bis vierstündigen Abend die Energie immer wieder bündelt. Das Blickfeld allerdings wird dabei stets enger, die Perspektive läuft wie die rückwärts die abgelesenen Seiten zählende Digitalanzeige gegen null. In der vorletzten Szene fährt eine Spielzeugeisenbahn mit aufmontierter Kamera im Kreis, und groß auf die Rückwand projiziert sehen wir die Gesichter aller Mitspielenden, die sich zum Selbstmord auf die Schienen legen. Etwas später gehen sie ein in eine Art himmlischen Safe. Eine letzte Stimme redet vom „Menschenerschlagen aus Ersparnisgründen.“ So weit ist man dann doch noch nicht.

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