Hansa hat ausgeschlünzt

Nach dem 0:6-Heimdebakel gegen den Hamburger SV herrscht beim Bundesligatabellenletzten Hansa Rostock Untergangsstimmung. Trainer Juri Schlünz hat für diese die Verantwortung übernommen und ist zurückgetreten

AUS ROSTOCK DIRK BÖTTCHER

Es ist vorbei. Nach 36 Jahren ist die Ära Juri Schlünz in Rostock beendet. Das Auslaufen der Mannschaft am gestrigen Montagmorgen leiteten bereits die Co-Trainer Wolfgang Funkel und Perry Bräutigam. Das 0:6-Debakel gegen den HSV am Abend zuvor hatte für Schlünz keine andere Entscheidung zugelassen als: den sofortigen Rücktritt. Es hatte sich angekündigt, irgendwie. Und am Ende war es doch auch überraschend. Aufsichtsratschef Horst Klinkmann musste schon in die Farbenlehre abschweifen, um zu erklären, was sich da in Rostock ereignet hatte. „Die Vorstellung über etwas Schwarzes kann immer noch schwärzer werden. Ohne Zweifel ist dies der enttäuschendste Tag für Hansa“, formulierte er.

Damit ist die trostlose Lage in Rostock noch trostloser geworden. Es herrscht Untergangsstimmung. „Über unsere Gesamtsituation darf man jetzt nicht nachdenken. Da kann man nur noch die Hände über den Kopf zusammenschlagen“, sagte René Rydlewicz. Er sagte auch: „Ich wäre an Juris Stelle auch zurückgetreten.“

Schlünz, seit über 30 Jahren im Verein und schon deshalb eine Art Kultfigur, soll sich von seinen Spielern in der Kabine mit den Worten „Der Anfang war gut, das Ende nicht so“ verabschiedet haben. Später, auf der Pressekonferenz, teilte Schlünz gefasst mit: „Man muss irgendwann Verantwortung übernehmen. Acht Punkte sind einfach zu wenig. Ich wollte das mir entgegengebrachte Vertrauen nicht überstrapazieren.“ Dann sagte der 46-Jährige: „Ich übernehme die Verantwortung.“

Der Trainer hatte unmittelbar nach der siebten Heimpleite und höchsten Niederlage überhaupt in Rostocks Bundesliga-Geschichte den Aufsichtsrat und Vorstand zum Gespräch gebeten und sein Amt zur Verfügung gestellt. Sein Abschied ist womöglich sogar ein endgültiger. Auf die Frage, ob er dem Verein weiter verbunden bleibe, sagte er nur: „Das werden wir sehen.“

Juri Schlünz hatte stets prophezeit, dass es irgendwann einmal so kommen würde. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass es so früh in der Saison passiert“, bemerkte er nun. Für Rostock kam die Entscheidung möglicherweise sogar zu spät. Hansa steht mit acht Punkten und einem Minus von 21 Toren mit dem Rücken längst hinter der Wand. Anscheinend hatte Schlünz schon vor zwei Wochen, nach der Heimniederlage gegen Nürnberg, den Hut nehmen wollen, wurde damals aber von der Hansa-Führung zum Weitermachen bewegt. Vorstandsvorsitzender Manfred Wimmer glaubte bis zuletzt, dass „Juri weiterhin der Richtige ist“. Er sprach von einer „ungeheuren Wut im Bauch, gegen die Leute, die diese Situation zu verantworten haben“. Wimmer meinte damit die Spieler und sprach erstmals öffentlich aus, worüber es nach dem unsäglichen Auftritt gegen den HSV keinen Zweifel mehr geben konnte: „Vielleicht reicht die Qualität der Mannschaft nicht aus.“

Selbst dem Gegner blutete ob des hilflosen Umherirrens der Rostocker das Herz. HSV-Trainer Thomas Doll, früher einmal selbst Hansa-Spieler, litt geradezu: „Am liebsten hätte ich das Spiel beim 0:4 abgebrochen. Meine Freude über diesen Sieg ist sehr gedämpft.“ Ausgerechnet Doll holte seinen einstigen Mitspieler Schlünz von den Beinen. Das Rostocker Rührstück hatte damit ein dramatisches Finale. Doll meinte aber: „Mitleid braucht Juri jetzt nicht. Dafür ist er zu sehr Kerl und auch Mensch. Man sieht, dass man als Trainer ein einzelner Kämpfer und von seiner Mannschaft abhängig ist.“

Juri Schlünz, daran gibt es keinen Zweifel, ist zuvorderst an seiner Mannschaft gescheitert. Wie zuvor schon Armin Veh. „Wir müssen uns fragen, warum hier nach einem Jahr immer ein neuer Trainer kommen muss“, sagte Kapitän Mathias Schober. Kollege Roland Maul fragte: „Welcher Trainer will jetzt überhaupt nach Rostock kommen, wenn er das hier gesehen hat?“ Zumal, so Manfred Wimmer, der neue Trainer „wirtschaftlich zu uns passen muss“. Mit dem großen Geld wird Hansa einen neuen Coach nicht überreden können, das desolate Team zu übernehmen. Wie aber sonst? „Uns bleibt wenig Zeit“, sagt Wimmer. Erste Spekulationen ranken sich um eine Rückkehr von Frank Pagelsdorf, auch Werner Lorant wird gehandelt. Es gäbe aber auch eine Lösung mit einem weiteren Urgestein: Timo Lange gilt in Rostock als Fußballgott. Mit den Hansa-Amateuren steht er derzeit auf dem ersten Tabellenplatz.