zwischen den rillen: Der König tritt ab
Mit seinem großartigen „Black Album“ zieht sich der Rapper Jay-Z aus dem HipHop-Geschäft zurück
Es kommt selten vor, dass sich Superstars auf dem Höhepunkt ihres Ruhms aus freien Stücken zurückziehen. So mancher stirbt in einem solchen Augenblick und wird posthum zur Legende, bleibt jung und schön und kompromisslos in Erinnerung. Doch der Normalfall ist weit prosaischer. Sie machen weiter und weiter, und niemand sagt ihnen, dass sie ihren Zenit lange schon überschritten haben. Warum auch? Dafür, tun und lassen zu können, was sie wollen, haben sie schließlich lang genug gearbeitet. Das Gefühl, der Welt jederzeit eine weitere Platte auf die Nase binden zu dürfen, ist ja vielleicht die schönste Form von kreativem Rentenanspruch.
Um seine Rente dürfte sich Jay-Z keine Sorgen machen. Wer möchte, kann sich von Kopf bis Fuß in Klamotten seiner Firma Roc-a-wear kleiden, im Kino einen Film seiner Firma Roc-a-films ansehen, sich danach in sein New Yorker Restaurant begeben, dort Wodka einer Marke trinken, die ebenfalls Jay-Z gehört, um dort dem „Black Album“ zu lauschen, seinem Vermächtnis, der letzten Platte, die er herausbringen will. Am Fuß sollte man den Turnschuh tragen, den Jay-Z gerade in Zusammenarbeit mit Reebok auf den Markt gebracht hat. Wer wird fortan in ihnen gehen können? „You can’t fill my shoes“, rappt Jay-Z: „Let’s see what happens when I no longer exist.“
Tatsächlich hat kein Rapper seit dem Tod von Tupac und Biggie Smalls das Genre so geprägt wie Jay-Z. Er war alles für alle. Hustler und Dichter, Unternehmer und Mixtapes-Vollrapper. So manch ein Kritiker wollte in ihm gar den Prototyp des organischen Intellektuellen gesehen haben, wie er Gramsci in seinen Gefängnisheften vorschwebte.
Warum tritt so jemand ab? Zu rappen reize ihn nicht mehr, sagt er in Interviews, und da mag etwas Wahres dran sein. Der Streit, den er im vergangenen Jahr mit seinem Konkurrenten Nas anfing, kommt einem im Nachhinein wirklich eher vor wie das gescheiterte Motivationsprogramm eines Künstlers, der sich eine Herausforderung brauchte, als eine Battle, in der es tatsächlich um die New Yorker HipHop-Krone gegangen wäre. Trotzdem dürfte es nur die halbe Wahrheit sein. Wahrscheinlicher ist, dass Jay-Z schlicht seiner Rap-Persona entwachsen ist. Er ist kein Hustler mehr, kein ums Überleben kämpfender Kleinkrimineller, er ist ein Golf spielender Großunternehmer und Multimillionär.
Nun zieht sich dieses Emanzipationsdrama durch Jay-Zs gesamtes Schaffen. Alle seine Platten handelten von der Geschichte des drogendealenden Jugendlichen, der zum Rapper wird, um nicht im Gefängnis zu landen, der seine eigene Plattenfirma gründet, als er von einem Label über den Tisch gezogen wird, und der diese Firma zu einer der größten im milliardenschweren HipHop-Geschäft ausbaut und heute einer der reichsten Männer des amerikanischen Showgeschäfts ist – mit 32 Jahren.
Wie Jay-Z dieses Drama mit dem „Black Album“ nun zu seinem Höhepunkt führt, das ist ganz große Kunst – dichterisch außergewöhnlich und konzeptuell einzigartig. In zwölf Stücken, produziert von den zwölf größten Beatschmieden des HipHop, nimmt Jay-Z Abschied von seinem Reich. In gebotener Brillanz verschränkt er Schwänke aus seinem Leben und ob ihrer intellektuellen Schärfe erstaunliche Reflexionen.
Wenn er etwa in dem von Eminem produzierten „Moment of Clarity“ in einigen wenigen Reimen seine Hustlerpersönlichkeit gleichzeitig als individuelle Notwenigkeit und soziale Konstruktion umreißt und obendrein sein Werk der vergangenen Jahre als Versuch beschreibt, eine Dynastie zu begründen, verschlägt es einem den Atem.
Zumal er auf einem argumentativen Nebengleis mit den goldenen Worten „If skills sold, truth be told, I’d probably be lyrically Talib Kweli“ nicht nur dem begabten Undergroundrapper gleichzeitig Respekt erweist und trotzdem noch einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst. Gleichzeitig stellt er das Konstruierte seiner eigenen Sprecherposition aus. Wer wie Kweli auf einen autonomen Wahrheitsanspruch seiner Kunst besteht und deshalb keine Kompromisse macht, sagt eben nicht die ganze Wahrheit, weil er von der Realität des Gelderwerbs absieht. So muss man’s machen: sich auf der Höhe postmarxistischen Dekonstruktionsphilosophie bewegen und damit auch noch hundertfacher Dollarmillionär werden.
Es ist ein oft übersehenes, aber grundlegendes Thema im HipHop, dass man rappt, um dafür bezahlt zu werden. Für Dollarnoten haben Rapper genauso viele Bezeichnungen wie Eskimos für Schnee. Daher auch die Identifikation mit dem Hustler, die sich ja nicht nur bei Jay-Z, sondern bei fast jedem Rapper findet. Sie steht nicht nur für die individuelle Vergangenheit des jeweiligen Künstlers oder dafür, dass es einer gehörigen Menge streetsmartness bedarf, möchte man im Musikgeschäft überleben: Vor allem bedeutet sie: in it for the money.
Jay-Z braucht dieses Geld nicht mehr. Und er braucht auch sein Hustlerpersönlichkeit nicht mehr. Bei einer Listening Session in New York soll er den anwesenden Journalisten sogar erklärt haben, dass er das Wort bitch nur als Metapher gebrauche, nicht um Frauen herabzusetzen. Mit dem „Black Album“ trägt er sein altes Image zu Grabe, um in einer grandiosen Geste darauf zu bestehen, alles richtig gemacht zu haben, weil es ihn in die Lage versetzt hat, zu sehen, dass nicht alles richtig war. TOBIAS RAPP
Jay-Z: „The Black Album“ (Def Jam)
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