Unermüdlich und ungemütlich

Westfälische Delegierte kennen in Dresden nur ein wichtiges Thema: die Sozialreformen

BERLIN taz ■ Deutschland im Jahr 2003. Das gesamte grüne Reich wird von Realos dominiert. Nur in einem kleinen Nest regt sich noch Widerstand: in Münster. So sehen sie sich gern, die wackeren Linken vom Münsteraner Kreisverband. Unermüdlich verschicken sie Protestnoten gegen die Regierungspolitik in Berlin. Jedes Mal, wenn ein Parteitag ansteht, formulieren sie Änderungsanträge und suchen Unterstützer. Manchmal durchaus mit Erfolg. Beim letzten Parteitag vor einem halben Jahr in Cottbus fehlte gar nicht so viel, und ihr Antrag gegen die Agenda 2010 wäre durchgekommen.

Auch bei der Vorbereitung auf den heute beginnenden Europawahl-Parteitag in Dresden achtete die Berliner Führungscrew deshalb genau darauf, was „aus Münster“ zu erwarten ist. Schließlich soll keiner sagen können, man ignoriere die Bedürfnisse der Linken an der Basis. Erst nach deren lautem Murren wurde der aktuellen Sozialpolitik und dem Vollzug der Agenda 2010 überhaupt ein nennenswerter Raum in der Parteitagsdebatte eingeräumt. Der Führung wäre es eigentlich lieber gewesen, dieses unerfreuliche Thema außen vor zu lassen. Nun hat man sich geeinigt, dass die Kritiker der Sozialreformen heute ihren Ärger loswerden dürfen, bevor man sich morgen dem angenehmeren Teil, dem Europaprogramm, zuwendet.

Wenn es nach Wilhelm Achelpöhler geht, wird es für die Parteispitze sogar richtig ungemütlich. Achelpöhler ist der Asterix der Münsteraner. Der Sprecher des Rebellenkreisverbands wehrt sich gegen die Taktik der Führung, die er als „Umarmungsstrategie“ empfindet. „Wir lassen uns aber nicht umarmen“, sagt Achelpöhler. Um den Linken entgegenzukommen, hatte der Bundesvorstand einige Forderungen in den sozialpolitischen Teil des Leitantrags aufgenommen. Dort heißt es nun, dass die Grünen „im Vermittlungsverfahren klaren Kurs halten“.

Unter anderem verspricht die Führung, man werde sich gegen die Pläne der Union wehren, Lohndumping einzuführen, die Zumutbarkeitsregeln bei der Jobannahme zu verschärfen und den Kündigungsschutz zu lockern. Was aber passiert, wenn das nicht gelingt? Wenn sich der Vermittlungsausschuss auf ein Ergebnis einigt, das diese grünen Forderungen ignoriert? Das verrät der Vorstandsantrag nicht – und das will Achelpöhler ändern.

„Es muss am Ende auch ein Nein möglich sein“, sagt Achelpöhler und fordert „klare Bedingungen für eine Zustimmung, wenn die Gesetze aus dem Vermittlungsausschuss zurück in den Bundestag kommen“.

Außerdem unterstützen die Münsteraner auch den Antrag der linken Promis um Christian Ströbele und Jürgen Trittin, die eine neue Vermögensteuer wollen. Der Parteitag müsse sich „konkret“ auf eine „schnelle Einführung“ festlegen – und auch Betriebsvermögen einbeziehen.

LUKAS WALLRAFF