Der 24-Stunden-König

Pim Fortuyn ist doch nicht der „größte Niederländer aller Zeiten“. Schuld ist ein Computerfehler bei der Stimmenzählung. Alles wird gut? Na ja, da wäre noch der „schlimmste Niederländer aller Zeiten“

AUS AMSTERDAMULRIKE HERRMANN

So schnell wurde noch keine historische Größe entthront: Am Montagabend wurde Pim Fortuyn zum „größten Niederländer aller Zeiten“ ausgerufen, am Dienstagabend wurde ihm dieser Titel wieder aberkannt. Der staatliche Fernsehsender KRO musste einräumen, dass man sich beim Finale verzählt hatte. Ein bedauerlicher Computerfehler. Tatsächlich hätten die meisten Zuschauer für den Staatsgründer Willem van Oranje gestimmt, den „Vater des Vaterlandes“. Pimmetje hingegen kam nur auf Platz 2.

Formal allerdings wird Fortuyn der Größte bleiben. Denn die Veranstalter hatten notariell vereinbart, dass nur jene Stimmen zählen, die während des Finales einlaufen. Die entscheidenden Voten für den Oranier trafen jedoch zu spät ein – obwohl sie rechtzeitig abgeschickt worden waren.

Das klingt so paradox, wie es ist: Gerade, weil alles besonders korrekt ablaufen sollte, kam es zum Chaos. Schon wochenlang vorher kursierte in den Niederlanden das Gerücht, dass bei der Wahl ihres Größten massiv geschummelt wird. Vor allem Pimmetjes Anhänger, so wurde geraunt, hätten sich viele falsche E-Mail-Adressen besorgt, um mehrfach abzustimmen. Ob wahr oder nicht: Der KRO entschloss sich, im Finale keine Internetvoten zuzulassen. Auch SMSe zählten nicht, nur Telefonanrufe.

Allerdings wurde auch jeder von ihnen doppelt kontrolliert. Bloß kein Schummeln! Dann doch lieber bedächtige Langsamkeit. Sie schien sich der Sender durchaus leisten zu können, war doch der Wettstreit um den größten Niederländer ziemlich langweilig verlaufen. Seit dem 23. Oktober schon führte Pimmetje, und niemand schien sich aufzuregen – warum sollte sich das ausgerechnet an einem 15. November ändern?

Doch anscheinend machten sich nicht nur Historiker zunehmend Sorgen, dass sich die Niederländer im Ausland „vollkommen lächerlich“ machen würden, falls sie tatsächlich Fortuyn wählten. Auch viele Laien am Bildschirm schienen plötzlich bereit, diese „nationale Peinlichkeit“ in den allerletzten Stunden abzuwenden. Also riefen allzu viele allzu gleichzeitig an.

Die Festnetzleitungen brachen zusammen, und der überwältigte KRO entschied spontan, wieder SMSe zuzulassen. Da jedoch auch sie gecheckt werden mussten, brauchten die Rechner mehr als sechs Stunden, um sie alle zu verarbeiten. Das Finale endete offiziell am Montagabend um 23.15 Uhr, das richtige Ergebnis hatten die Computer dann am Dienstagmorgen um 6 Uhr ermittelt: 161.000:130.000 Stimmen für den „Vater des Vaterlandes“.

Danach beriet der Sender einen ganzen Tag intern, wie mit dieser Peinlichkeit umzugehen sei. Ergebnis beim KRO: Es ist gar nicht peinlich. „Warum sollte unser Image durch einen technischen Fehler leiden, den wir in aller Offenheit zugeben?“ Außerdem tröstet der Blick nach Großbritannien. Gegen den dortigen Größten, Winston Churchill, ist zwar nichts einzuwenden. Aber mit Freude nahm das Algemeen Dagblad wahr, dass auf Platz 2 „ein großer Unbekannter“ landete: der Ingenieur Isambard Kingdom Brunel, der im 19. Jahrhundert unter anderem den Fußgängertunnel unter der Themse nach Greenwich baute. „Die Studenten der Brunel-Universität in London haben ihn auf die Liste gehievt“, erklärte das Dagblad. Indirekte Konklusion: Es hat eben jedes Land eine Art verrückten Pim-Fortuyn-Club.

Und auch die Deutschen hatten so ihre Spinner, lässt das Blatt anklingen. Zwar sei die Kandidatenliste mit Bach, Goethe, Einstein und Adenauer „sehr gediegen“ gewesen. Aber dann wird auf die „Erleichterung von vielen“ verwiesen, dass es Marx nicht weiter nach vorn schaffte.

Allein die Fortuyn-Anhänger können es noch nicht fassen, dass aus einem politischen Sieg ein technisches Debakel wurde. „Offensichtlich darf Pim nicht gewinnen“, kommentierte sein Nachfolger, der Parlamentsabgeordnete Mat Herben. Er vermutet „Klüngeleien“. Aber immerhin, ein Triumph bleibt ihm: Gestern wurde nun auch der „schlimmste Niederländer aller Zeiten“ ausgerufen – wie erwartet ist es Volkert van der Graaf, der Mörder von Pim Fortuyn. Noch jedenfalls.