„Pamphlete“ gegen das System

Am 7. Dezember soll im Prozess gegen den mutmaßlichen Dreifachmörder von Overath das Urteil ergehen. Thomas Adolf ist laut Gutachten voll schuldfähig. Vor Gericht gab er immer neue Motive an

VON Christian Wiermer

Zügig lässt er den Stift über das Papier gleiten. Thomas Adolf notiert alles, was er von der Anklage hört, Satz für Satz, fast vier Stunden lang. Er könnte diese Zeilen noch brauchen. Vielleicht für eines seiner „Pamphlete“, wie es die Staatsanwältin nennt. Erst letzte Woche hat der mutmaßliche Dreifachmörder von Overath wieder eins verfasst. In seiner Zelle schreibt er vom bewaffneten Kampf gegen das System. Und dass er zu gewinnen sei.

Thomas Adolf sitzt in Saal 207 des Kölner Landgerichts. Er wirkt dämonisch. Aber er ist voll schuldfähig, wie Psychiaterin Constanze Jankowski findet. Zwar mit „narzisstischen Nuancen“ und einem „aufgeblähten Selbstwertgefühl“, aber eben „ohne Persönlichkeitsstörung“, die ihn schuldlos machen könnte.

Man muss fast lachen, wenn man sieht, wie sich der Neonazi trotz Handfesseln an seinem Kahlkopf kratzen möchte. Aber an Adolfs Geschichte gibt es nichts zu lachen, der Geschichte eines Rechtsextremen, der eine schlechte Kindheit hatte, mit 19 ein Rathaus in die Luft sprengen wollte, vor zehn Jahren in Köln-Nippes für die „Deutsche Liga für Volk und Vaterland“ bei der Kommunalwahl antrat – und dabei kläglich scheiterte. Von einem, der seinen Freunden gerne Geschichten erzählte: dass er Söldner in Rhodesien gewesen sei und auch V-Mann des Verfassungsschutzes. Thomas Adolf erzählt viel und gern, doch an einem dieser Tage im Herbst des letzten Jahres erzählt er zu viel. Zwei seiner Freunde verraten ihn. Nun fordert die Staatsanwaltschaft lebenslänglich und Sicherungsverwahrung.

Prozessunterbrechung: Das Heulen ist auch außerhalb des Gerichtssaals nicht zu überhören. Wieder einmal muss die Sitzung unterbrochen werden, weil Jennifer D., die Mitangeklagte, nicht mehr kann. Sie ist 20 Jahre alt und ein eher schwache Charakter. Das ist ihr Glück, weil sie wohl nur nach Jugendstrafrecht verurteilt wird. Aber das ist vor allem ihr Pech: Sie, das Mädchen mit Kontakt zur rechten Szene, unterwirft sich Thomas Adolf, dem 26 Jahre Älteren. Als der Extremist am 7. Oktober des letzten Jahres den Overather Anwalt Hartmut Nickel, dessen Frau und Tochter mit einer Pumpgun niederstreckt, ist Jennifer dabei. Sie hilft sogar dabei, Vater und Tochter zu fesseln. „Es war eine Exekution“, sagt die Staatsanwältin. „In diesem Moment war er wieder der Sturmbannführer“, sagt die Psychiaterin.

Auf der Anklagebank sitzt einer, der in den letzten sechs Monaten, seit verhandelt wird, immer wieder andere Versionen für sein Motiv lieferte. Mal sei er von der SS-Division „Götterdämmerung“ dazu beauftragt worden. Mal habe er das für eine „terroristische Vereinigung“ getan, mal aus Rache an Hartmut Nickel für einen verlorenen Mietprozess, in dem der Jurist die Gegenseite vertrat. Würde er das wieder tun, wurde er gefragt. „Natürlich, jederzeit“, sagte er anfangs. Vor kurzem stellte ihm Richter Paul Schwellenbach noch einmal diese Frage. Dann sagte Adolf: „Nein, das Töten geschah nur aus der Not heraus.“ In dieser Woche nannte er die Tat gar „sinnlos“. Er weiß wahrscheinlich selbst nicht, warum er mordete.

Am 7. Dezember soll das Urteil ergehen. Die Staatsanwältin will ihn für immer hinter Gitter sehen, und Jennifer D. soll zehn Jahre bekomme – die Höchststrafe nach Jugendrecht. Aber noch sitzt Thomas Adolf in Ketten im Gerichtssaal, an den Füßen und den Handgelenken. Er schreibt weiter mit, mit Scherheit auch heute wieder, wenn seine Anwälte gegen die Sicherungsverwahrung plädieren werden.

Die Staatsanwältin ist am Ende ihres Vortrags. Thomas Adolf hat sich alles regungslos angehört. Er hat sich kaum gerührt. Jetzt zitiert die Staatsanwältin einen Zeugen, der den Angeklagten schon lange kennt. „Thomas ist ein Mensch, der politisch unverbesserlich ist“, sagt sie. Adolf schreibt diesen Satz auf. Es folgt die erste echte Reaktion: Er runzelt die Stirn, schaut die Rednerin an. Dann lächelt er fies, es scheint, als sage er: Vorsicht, Frau Staatsanwältin! Dieser Satz kann noch gegen Sie verwendet werden!