Wer jetzt vorprescht, wird verbrannt

Die CDU und die K-Frage: Eine Allensbach-Studie zeigt, dass die Deutschen mehr von Christian Wulff als von Angela Merkel halten. Und: Wahrscheinlich würden viele Niedersachsen sogar einen Aufstieg ihres Ministerpräsidenten befürworten

„Mehr als fünf Jahre sollten Beamte doch sowieso nicht an einem Platz bleiben.“

Von Kai Schöneberg,
Tilmann Weber
und Jan Zier

Wenn die Berufsoptimisten aus der niedersächsischen Staatskanzlei von „großer Sorge“ wispern, lohnt es sich, noch mal ganz genau hinzuhorchen. Vor allem, wenn die Krokodilstränen rollen, weil Christian Wulff (CDU) bei einer Umfrage zu gut abgeschnitten hat. Dabei handelt es sich um eine Studie des unionsnahen Meinungsforschungsinstitutes Allensbach für die unionsnahe Frankfurter Allgemeine Zeitung, Thema: die K-Frage. Parteivize Wulff lässt öffentlich keine Gelegenheit aus, sich hinter Angela Merkel zu stellen und gleichzeitig zu betonen, er wolle den Ministerpräsidentenposten „nicht vor 2010“ verlassen. Dennoch gilt er nach dem Chaos um Gesundheitsreform, Merz-Rücktritt und die „Frau aus dem Osten“, die Schröder und Müntefering „nicht das Wasser reichen“ kann (Edmund Stoiber), als der „Reserve-Kandidat“.

Wer sonst? „Das Bild, das sich die Deutschen von Angela Merkel machen, ist insgesamt nicht sehr günstig“, heißt es in der FAZ. Immerhin: 58 Prozent halten sie für „klug“ – mehr als Roland Koch und Wulff (50 und 49 Prozent). Dafür empfinden 45 Prozent Merkel als „kalt“. Advantage Wulff: nur 15 Prozent sehen das bei ihm so. 40 Prozent empfinden Merkel als „langweilig“, 19 Prozent sehen das bei Koch so. Von Wulff sagen das nur zwölf Prozent. Er drängte ja auch im Sommer mit Rechtschreibreform und Ausstieg aus der Kultusministerkonferenz bundesweit in die Medien.

Doch wer jetzt vorprescht, wird verbrannt. Auch wenn Wulff vor dem Düsseldorfer Bundesparteitag Anfang Dezember auf keinen Fall mit der K-Frage in Verbindung gebracht werden will: Viele der seit 20 Monaten von ihm Regierten dürften seinen Aufstieg sogar begrüßen. Schwarz-Gelb geriert sich wie die Chefetage eines Börsenunternehmens. Auf dem Terminkalender: rigides Sparen beim Personal und die Symbolik des Aufbruchs, so die Einführung eines Führerscheins für 17-Jährige oder das Abitur nach zwölf Schuljahren.

Auch wenn hier ab und zu mal Sehbehinderte oder Beamte demonstrieren: Im ur-sozialdemokratischen Hannover stößt die Landesregierung bei einer nicht repräsentativen Umfrage auf recht großes Verständnis. Negativ betroffen von der Wulff-Politik sind die Angestellten und Beamten der Bezirksregierungen, die zur Jahreswende aufgelöst werden. Deren 70er-Jahre-Gebäude am Waterlooplatz beherbergt noch 1.500 Mitarbeiter. Die Rubrik „Fortbildungen“ am schwarzen Brett ist leer. In der Kantine sitzen drei Förster vor Tellern mit Restspuren von Putengulasch. Ein „CDU-Anhänger“ gibt sich gelassen: „Jeder von uns hat im Einzelgespräch erfahren, wo er nächstes Jahr arbeitet“: im Ministerium, im Forstamt oder in der Landwirtschaftskammer. Sein Gegenüber, ein SPD-Wähler: „Mehr als fünf Jahre sollten Beamte doch sowieso nicht an einem Platz bleiben.“ Am Nachbartisch lobt eine Frau den Sparkurs: „Ich weiß nicht, wie die sonst meine Pension bezahlen können.“

Aufgeschlossenheit findet Wulff auch im Jugendstil-Stadtteil List – Heimat der Lehrer, Freiberufler oder Kleinfamilien. Hier wird auch grün gewählt, 2003 mit 20,6 Prozent. Ein „Nichtwähler“ auf dem Öko-Markt am Moltkeplatz lobt das jährliche Schuldensenkungsvolumen in Höhe von 350 Millionen Euro. Zwischen Bienenwachskerzen und Honig fachsimpeln zwei Kunden. Der Mann begrüßt die Streichung des einkommensunabhängigen Blindengeldes. „Ein blinder Abteilungsleiter, der braucht nichts. Dass jeder was bekommt, steht anderen Behinderten ja auch nicht zu.“

Im „Lehrerzentrum Hannover e.V.“ an der Jakobistraße wird schärfer geurteilt. Eine Lehrerin hält die versprochene verlässliche Grundschule für eine Farce. Ihre Schule im sozial benachteiligten Norden Hannovers betrieb bislang ein eigenes Modell der vollen Halbtagsschule. Jetzt müssten die Kollegen in anderen Schulen aushelfen. „Wir sind am Limit. Manchmal habe ich zwei Klassen gleichzeitig und renne hin und her“, sagt die Frau. Klare Frontstellung auch beim Gesamtelternrat. „Die Wende ist katastrophal“, sagt Ingrid Fitting in der Geschäftsstelle. Größere Klassen und das strikter gegliederte Schulsystem würden bewirken, „dass soziale Herkunft die Bildungschancen bestimmt“. Viele Eltern würden von Schein-Reformen wie freier Schulwahl oder Zentralabitur geblendet. „Noch“, sagt sie beschwörend.

In einer NDR-Umfrage waren ein Jahr nach der Wahl 56 Prozent unzufrieden mit der Regierung, 38 Prozent zufrieden. Doch bei einem erneuten Urnengang würden Wulff & Co. wohl besser abschneiden als 2003. Vor allem in den Feldern „Wirtschaft voranbringen“, „Verschuldung verringern“ und „Zukunftsprobleme lösen“ gewannen sie Zuspruch.

Szenenwechsel: Deutschlandtag der Jungen Union in Oldenburg im Oktober. Helmut Kohl wird gefeiert, Friedrich Merz erhält mehr Beifall als die Parteivorsitzende. Bitter für Merkel. Einer ruft zur Geschlossenheit auf, es ist Christian Wulff. Auch wenn Merkel die Union doch noch hinter sich versammelt, scheitert sie ja vielleicht 2006 gegen Rot-Grün. Wulff hat Zeit. 2010 ist er erst 51 Jahre alt.