„Wir sind wieder da“

Heute feiert das Label Kitty-Yo seinen zehnten Geburtstag. Ein Gespräch mit Gründer Raik Hölzl über den Hype, der um Kitty-Yo veranstaltet wurde – und das Problem, wieder auf den Boden zu kommen

INTERVIEW ULF LIPPITZ

taz: Raik Hölzl, wie sieht der Labelmacher von heute den Labelgründer von einst?

Hölzl: Ich denke: Was für ein Greenhorn! Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was ich da tat. Das war eine rein spielerische Geschichte. Mich hat der Umgang mit Grafik interessiert. Meine Vision war eine Verpackung.

Entsprang die Idee Kitty-Yo aus einer Laune heraus?

Ein wenig. Ich hatte davor einen Buchladen, aus dem ich ausstieg und mich auszahlen ließ. Dadurch besaß ich für meine Verhältnisse unfassbar viel Geld. Zuerst gründete ich ein Fanzine. Dann hatte ich die Idee mit Surrogat zwei Singles aufzunehmen, weil niemand sie unter Vertrag nehmen wollte.

Wie sind Sie auf Surrogat und deren Sänger Patrick Wagner gestoßen?

Ich hab die Band mal in der Lychener Straße gesehen und war beeindruckt. Danach habe ich einen Artikel in meinem Fanzine geschrieben.

Und dann stieg Patrick Wagner bei Kitty-Yo ein.

Wir hatten erst mal kein Geld. Wir haben ungestempelte Briefmarken mit Wasser abgelöst. In meinem Zimmer stand eine Wanne mit Wasser dafür bereit. Wir mussten Adressen aus Magazinen herausschreiben.

Aber dann kam der Hype.

Ich habe mich gefragt, warum. Wir hatten erst einige Singles veröffentlicht. Mir war das unheimlich.

Ab 1996 riefen die ersten Bands aus anderen Städten an.

Kante aus Hamburg haben sehr lange gebaggert. Ich habe sie mir in der „Roten Flora“ in Hamburg angeguckt und dachte: Mann, wie verkopft! Peter, der Sänger, stand auf der Bühne und berichtete über Germanistikseminare, in denen er Jochen Diestelmeyer von Blumfeld getroffen hat.

Warum dann der Vertrag?

Kante wurden Vorband bei Surrogat. Auf dem letzten Konzert in Berlin spielten sie plötzlich dermaßen gut und lässig, dass wir sie genommen haben.

Mit Gonzales und Peaches bekam das Label plötzlich ein anders Image: das eines Labels für Performer.

Das hat sich erst später herauskristallisiert. Gonzales fanden alle zu Beginn blöd. Ich habe meine gesamte Authorität in die Waagschale geworfen und gesagt: Wenn wir den nicht machen, können wir den Laden dicht machen.

Ab 2002 hat Kitty-Yo den Entertainment-Faktor zurückgedreht.

Es gab eine interne Devise, mehr Bescheidenheit an den Tag zu legen. Patrick war unser Sprachrohr, tendenziell ein Großmaul – was uns in der Anfangsphase half, größer dazustehen als wir waren. Man hielt uns dann für ultraarrogant und hochnäsig, der Druck auf jeden Künstler erhöhte sich immens. Es wurde suggeriert, wir kreierten Berliner Superstars. Das war Quatsch.

Peaches strahlte internationalen Glamour aus.

Ja, aber die Verkaufszahlen haben erst mal eine andere Sprache gesprochen. Wir waren nicht die Puff Daddies von Berlin.

Patrick Wagner stieg Ende 2001 aus und sagte kürzlich der Zitty: Am Ende war es bei Kitty-Yo wie bei Sony.

In einer extremen Überhöhung kann man das sagen – aber vor allem war das durch Patrick selbst hoch gepuscht. Er glaubte, von einer minimalistischen Gitarrenband wie Couch könnten wir eine Million Exemplare verkaufen. Am Ende kamen wir auf zweieinhalbtausend. Der Unterschied zwischen Image und Zahlen war wie Tag und Nacht.

Dann ist Wagner gegangen.

Ihm ist klar geworden, wo wir in der Realität stehen, und er ist bezeichnenderweise zu Universal gegangen.

Was haben Sie dann getan?

Ich drückte auf die Bremse, weil unsere Ansprüche nicht umsetzbar waren. Wir standen 2001 ja kurz davor, ein amerikanisches Büro zu eröffnen. Eine krasse Fehleinschätzung damals.

Warum klappte das nicht?

Der 11. September hat uns davor bewahrt. Danach brach der Markt extrem ein.

Wenn Sie vom alten Image weg wollen, warum dann ein neues Signing wie Sex In Dallas – ein Trio, das sich über Sex, Glamour und Elektro verkauft?

Vom ersten Eindruck her mag das stimmen. Die Band hat das Image, das ihnen in den Medien aufgestülpt wurde, sehr dankbar angenommen.

Sie haben den Berlin-Hype, wie er im Moment im Ausland gepflegt wird, kompromisslos übernommen.

Absolut. Sie haben nicht gemerkt, dass die Stadt überhaupt nicht so ist wie woanders dargestellt. Und dass die Szene so ein Image auch nicht goutiert. Das mussten wir stoppen.

Gelang das?

Die Verkäufe waren zunächst schlecht. Unterm Strich muss man sagen, dass die Band daran zerbrochen ist.

Was heißt das?

Jean-Marc und Mohini sind ausgestiegen. Aus der Distanz muss man sagen: Jean-Marc hatte eine klinische Psychose. Er lebt jetzt wieder bei seinen Eltern in Grenoble.

Sie haben sich am Berlin-Hype verbrannt?

Ja, sie dachten, Berlin heißt, jede Nacht ausgehen, Party machen und Drogen nehmen. Bei Heroin im Backstage-Bereich hört der Spaß auf. Wir haben ihnen ein Raum für Proben zur Verfügung gestellt. Da tauchten sie zweimal auf. Sie haben sich live nicht getraut, ihre Lieder zu singen.

Tatsächlich?

Ja, die Record-Release-Party in Paris war grauenvoll. Das Publikum stand hinter der Band, aber Adrien genierte sich „Everybody Deserves To Be Fucked“ zu singen. Jetzt tut er es. Aber jetzt gibt es auch eine neue Besetzung.

Die BBC dreht gerade eine Doku über Ihr Label. Wie sieht das Ausland Kitty-Yo?

Vor zwei Jahren hielten uns alle noch für ein Electroclash-Label – was nie gestimmt hat. Was hat ein Singer-Songwriter wie Maximilian Hecker mit Electroclash am Hut? Inzwischen erkennt man die stilistischen Brüche an, die Vielschichtigkeit. Das freut mich natürlich.

Kommt Kitty-Yo kommt aus dem Tunnel heraus?

Auf jeden Fall. In den letzten zwei Jahren mussten wir die negativen Folgen des Hypes abschütteln. Jetzt sind wir wieder da.