Von Achtenkleckern und Tafelleckern

Das Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf zeigt eine kleine Ausstellung über Kindheit in Berlin zwischen 1880 und 1950. Fast alle Ausstellungsstücke stammen von Berlinerinnen. So gelingt ein Einblick in sehr private Vergangenheiten

VON ANNA MECHLER

In der Nachkriegszeit gab es sie noch einzeln zu kaufen, für einen Pfennig das Stück durfte man in das große Bonbonglas beim Krämerladen um die Ecke greifen und sich eines der roten Himbeerbonbons oder der knallgrünen Maiblätter herausfischen. Ist es heute kaum noch vorstellbar, sich nur ein einziges Bonbon zu kaufen, konnte das damals den Wochenhöhepunkt bedeuten.

Bescheiden sei es in der „guten alten Zeit“ des neuen Westens zugegangen, bestätigt Birgit Jochens, Museums- und Ausstellungsleiterin. „Selbst die 16 Kinder des Nobelpreisträgers Theodor Mommsen blickten neidisch auf die Nachbarskinder, weil diese abends nicht nur eine Scheibe trockenen Brots erhielten, sondern belegte Schnitten und manchmal sogar ein Ei.“

Das Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf hat unter Mithilfe von 58 Berlinerinnen und Berlinern eine Ausstellung geschaffen, die sich mit den großen und kleinen Hürden des Lebens von 1880 bis 1950 befasst. Die Hobbyhistoriker haben rund 90 Prozent der Ausstellungsstücke und viele Erlebnisberichte beigesteuert.

„Der Waschtag warf schon einige Tage vorher seinen Schatten voraus“, kann man über die tagelangen Prozeduren der „großen Wäsche“ lesen. „Die Betten wurden frisch bezogen, die Unterwäsche noch einmal gewechselt, alles, was irgendwie noch mitgewaschen werden sollte, wurde dazugetan. So sah die Wohnung kahl und ungemütlich aus.“

Vor allem jene Aspekte der Kinderwelt werden hervorgehoben, die sich von dem heutigen Leben von Kindern und Jugendlichen unterscheiden. „Je bizarrer und größer die Granatsplitter waren, desto mehr wurden sie von uns bewundert, und desto höher war ihr Wert als Tauschobjekt für die immer weniger in den Geschäften angebotenen besseren Spielzeuge“, schreibt ein Berliner über seine Kindheit. Durch die vielen Erfahrungsberichte bekommt die kleine Ausstellung eine sehr persönliche Sicht und erzählt detailliert von Lebensumständen, die beim Blick auf die großen gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhänge der Geschichte häufig zu kurz kommen.

Die Erlebnisse der „Achtenklecker“ (Schulanfänger), die von älteren Schülern als „Tafellecker“ beschimpft wurden, weil zu ihrer Ausrüstung ein Schwamm zum Tafelputzen gehörte, sind genauso Thema wie die Erfahrungen der Kinderlandverschickung oder die Ernährung. „Nur sonntags gibt es Fleisch, meist in Form eines Schmorbratens, den ich nicht mag, oder eines Suppenhuhns“, schildert einer der Laienhistoriker die Essenssituation der 50er-Jahre. „Donnerstags und sonnabends gibt es Eintopf. Grüne Bohnen oder Wirsingkohl mit Hammelfleisch sind genehmigt, aber Kohlrüben mit Gänseklein – nein, das ist nun wirklich das Letzte.“

Neben den persönlichen Berichten werden viele Relikte wie alte Schulaufsätze, Schultüten und -bücher, eine Schulbank, und Spielzeug gezeigt. Zudem geben Fotos Einblick in die Mode und die Gepflogenheiten der Zeit. In der Schulfibel „Lachendes Berlin“ aus den 30er-Jahren findet sich ein Bild von Hitler, der mit einem Kind an der Hand auf einer Wiese schlendert. Darunter steht: „Lieblinge des Führers: Kinder und Alpenblumen.“ Generell wird aber wenig auf die politischen Probleme der Nazizeit eingegangen.

Den Besucher erwartet eine von persönlichen Eindrücken geprägte Schau, die Erinnerungen wecken wird und Kindern von heute die Lebensbedingungen ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern vor Augen führt.

Die Ausstellung ist bis 31. Januar,dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr,sonntags 11 bis 17 Uhr zu sehen.Der Eintritt ist frei.