„Des isch eine Uunvrrschämtheit!“

Mit acht Polizisten, vier Polizeiautos und drei funkgesteuerten Übergaben zur Musterung

„Mir brauche nur e Tröpfle“, flötete die Urinbeauftragte des Kreiswehrersatzamtes

Peter Struck kann es nicht lassen. Der mit dem Charisma eines Stützstrumpfs ausgestattete Verteidigungsminister kämpft für die Wehrpflicht. Unverzichtbar findet es Struck, der nie zur Bundeswehr musste, dass junge Leute weiter gegen ihren Willen zum Militär- oder Zivildienst gezwungen werden können. Sie sollen „Deutschland am Hindukusch verteidigen“, sagt Struck und meint damit, dass sie auch am Hindukusch sterben dürfen, während er sich zu Hause noch ein Pfeifchen in seinen sozialdemokratischen Lügenschnabel steckt. Was Wehrpflicht bedeutet, weiß ich noch gut. Nämlich, dass man zur Musterung muss, auch wenn man mit dem ganzen Gelichter nicht das Geringste zu tun haben möchte. Immerhin war einiger Aufwand nötig, um mich dorthin zu bringen.

Sie schickten acht Beamte und vier Polizeiwagen. Aber nicht auf einmal. Zuerst kam Polizeiwagen Nummer 1 zum Haus meiner Eltern und ermittelte knochenhart, dass ich nicht im Haus meiner Eltern, sondern in der Schule war. Da sich die Schule in einem anderen Landkreis befand, fuhr Polizeiwagen Nummer 2 zum gefährlichen Einsatz. Zwei Polizisten kamen in der großen Pause und befahlen mir, mitzukommen. Die Verhaftung blieb in der Schule natürlich nicht unbemerkt, und so wurden die Beamten ausführlich als „Bullenschweine“ und Ähnliches beschimpft. Dementsprechend sauer waren sie.

„Wir schicken dir Pakete in den Knast“, hörte ich noch, bevor ich in das Polizeiauto stieg. Dann konnte ich die Tür nicht mehr öffnen, und wir fuhren los. Nach einem Kilometer hielten wir abrupt auf einem düsteren Waldparkplatz. „Das kennt man ja aus Filmen – sie wollen mich erschießen“, dachte ich in meinem zarten Alter sofort. Doch zu meiner Überraschung wurde ich bald Zeuge eines putzigen polizeiinternen Funkverkehrdialogs, der wie alles weitere im geistfreien süddeutschen Sprachschlammjargon stattfand. „Mir habet die Zielperson geschtellt und sind etzt fertig zur Übergabe“, brummelte der Polizist unter seinem Schnurrbart hervor ins Funkgerät. Und dann laut zu mir: „Gehet Sie ruhig zum Bund! Mei Vatter war da!! Und i war au da!!!“

Wir warteten im Wald, bis plötzlich ein dicker Mercedes neben uns bremste: Polizeiwagen Nummer 3. Streng knurrten mich meine Bewacher an: „Herr Dhieme, mir sind etz fertig zur Übergabe. Wenn Sie ruhig bleibe, bleibe mir au ruhig.“ Ich blieb ruhig und stieg in den Wagen der Autobahnpolizei. Weil die Fahrt zum Kreiswehrersatzamt Donaueschingen ein kurzes Stück über die Autobahn geht, sei jetzt eine andere Dienststelle zuständig, wurde mir von den stolzen Autobahnpolizisten erklärt. Und noch was: „Die wo it beim Bund waret, sind Muttersöhnle!“

Von der Autobahnausfahrt bis zum Kreiswehrersatzamt ist es nicht weit. Doch wo die Autobahn endet, endet auch die Machtsphäre der unerschrockenen Autobahnpolizei. Deshalb musste unter einer Brücke noch einmal „Übergabe“ gemacht werden. Wieder ein neues Beamtenpaar und Polizeiwagen Nummer 4. Mit dem ging es dann zum Ort der Musterung. Meine Bewacher waren genervt und wollten mir Angst machen: Acht Beamte, vier Polizeiautos, stundenlanger Einsatz – das werde am Ende sehr, sehr teuer für mich.

Im Kreiswehrersatzamt sagte ich, dass ich nichts sagen wolle. Also wurde ich gleich zur Urinabgabe geschickt. „Mir brauche nur e Tröpfle“, flötete mir die amtliche Urinbeauftragte des Kreiswehrersatzamtes Donaueschingen entgegen, als ich den leeren Becher auf den Tresen stellte. „Des isch eine Uunvrrschämtheit!“, kreischte sie mir hinterher, als sie verstanden hatte, dass sie das „Tröpfle“ auf keinen Fall bekommen würde.

Bei den Ärzten war ich schnell wieder draußen. „Ich sage nichts“, sagte ich und unterschrieb, dass ich die Untersuchung verweigert hätte. Blieb noch der Musterungsausschuss: rechts die Deutschlandfahne, links das Bild des Bundespräsidenten, in der Mitte drei kastenbrotförmige Gesichter in Uniformen, die mich anbrüllten. Dass ich trotz Musterungsverweigerung natürlich „voll tauglich“ sei – und zwar „nach Augenschein und Aktenlage“. Dass mein Verhalten eine Unverschämtheit sei und dass ich wohl im falschen Staat leben würde. Letzteres kam mir auch so vor.

Mit doppeltem Fahrtgeld in der Tasche – die Zahlstelle des Kreiswehrersatzamtes wusste ja nicht, dass ich mit der Polizei gekommen war – fuhr ich schließlich im Zug nach Hause. Musterungsverweigerung, das lernte ich bald, ist nur eine simple Ordnungswidrigkeit und deshalb sehr empfehlenswert. Ich sollte 106 Mark dafür bezahlen, bat aber um Ratenzahlung. Wir einigten uns auf neun Mark monatlich. Die überwies ich einmal auf das Zentralkonto, dann nur noch acht Mark, dann nichts mehr. Natürlich kam irgendwann der Gerichtsvollzieher zu meinen Eltern, aber da wohnte ich schon anderswo und war Zivildienstleistender mit unpfändbarem Gehalt. Erst vom Entlassungsgeld zogen sie mir die hundert Mark wieder ab.

Das war der Spaß aber auch wirklich wert. MATTHIAS THIEME