Revolte nonstop

Zwischen Haft und „Empire“: ein Porträt des politischen Autors und Agitators Antonio Negri (Arte 22.15 Uhr)

Als die italienischen Gewerkschaften Mitte der Siebziger zur Mehrarbeit aufrufen, zieht Antonio Negri mal wieder vor eine Fabrik. Mit einem Haufen arbeitsloser Jugendlicher, die skandieren: „Wenn ihr Arbeit zu verteilen habt, gebt sie uns!“ Aber in der Fabrik kann von Arbeit in diesem Moment keine Rede sein: „Jemand hatte die Strommasten abgesägt“, sagt Negri. „Ich kann das heute erzählen, ich bin schließlich dafür verurteilt worden“, fügt er hinzu und lacht.

Der heute 71-jährige Politik-Professor, Autor („Empire“) und Vordenker sämtlicher politischer Bewegungen im Italien der 60er- und 70er-Jahre sowie neuerdings der Antiglobalisierungsbewegung ist nach über 24 Jahren Haft und Exil seit Anfang 2003 auf freiem Fuß. In seiner Lebensgeschichte verbinden sich die Eckpfeiler einer linken „vita activa“ aufs Schönste und oft auch aufs Hässlichste: Akademismus und Straßenkampf, visionärer Eifer und ungebrochene Empathie, Kriminalisierung und Mythifizierung. Entlang von Negris Biografie lässt sich die Geschichte radikaler linker Protestbewegungen der letzten 40 Jahre wunderbar nacherzählen, und das haben die Autoren Alexandra Weltz und Andreas Pichler in ihrem Film auch getan: Sie haben Archivmaterial gesammelt, Negri getroffen und mit seinen Weggefährten gesprochen.

Herausgekommen ist eine druckvolle Tour de Force von 68 bis zum französischen Poststrukturalismus und „go create resistance“, die dabei aber drei Aspekte nicht unterbekommt: die Sicht der „anderen“ Seite auf Toni Negri, von Staatsanwaltschaft damals und Berlusconi-Regierung heute; die konzise Darstellung seines Denkens im Kontext linker Theoriegeschichte; und die porträtgemäße Suche nach den persönlichen Motivationen und auch Ängsten eines Mannes, der sich nach Jahrzehnten herbster Rückschläge immer noch positiv auf revolutionäre things to come zu beziehen vermag. So liefert der Film vor allem Argumente für Negris Selbstbeschreibung – „Ich habe mir meine Würde bis heute bewahrt“. Das ist legitim, aber in letzter Konsequenz unbefriedigend. KIRSTEN RIESSELMANN