Sehweg nach Indien

Vergesst die Telenovela! RTL2 zeigt mit dem Bollywood-Blockbuster „In guten wie in schweren Tagen“ echtes Gefühlsfernsehen (20.15 Uhr)

VON ARNO FRANK

Wenn Hollywood eine Traumfabrik ist, dann ist Bollywood eine Traumfabrik, die von einer Traumfabrik erdacht sein muss. Mit rund 800 Filmen pro Jahr bedienen die Studios in Bombay bis zu drei Millionen Zuschauer täglich, und alle sind sie greller, größer, bunter, sinnlicher, länger und lauter als die Blockbuster der US-Kollegen. Und das, obwohl Bollywood überwiegend für einen bizarren Binnenmarkt produziert, in dem eine Milliarde Menschen unterschiedlichster Ethnien unter Bedingungen zusammenleben, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Mag sein, dass der Rest der Welt 2001 „Herr der Ringe“ sehen wollte – Indien ließ sich lieber von „Kabhi Khusi Kabhi Gham /Sometimes Happy, Sometimes Sad“ verzaubern.

Als „In guten wie in schweren Tagen“ kommt das in Indien nur noch „K3G“ genannte Epos nun ins deutsche Fernsehen, wo es wirkt wie eine mehrstöckige Sahnetorte neben Knäckebrot. Allein die Länge von knapp drei Stunden – ohne Werbeblöcke – verleiht dem Begriff „abendfüllend“ einen neuen Sinn.

Rahmensprengend aber ist auch die Dramaturgie des indischen Kinos, das mit der Bildsprache westlicher Erzählweisen nichts am Turban hat. Denn laut hinduistischer Lehre muss jedes Kunstwerk aus bestimmten emotionalen Grundkomponenten bestehen, den „Rasas“: Liebe, Komik, Trauer, Heldentum, Schrecken, Ekel, Wut, Wundersames und Friedvolles – das alles findet Platz in der Familiengeschichte um einen milliardenschweren Patriarchen (Bollywood-Altstar, „Schauspieler des Jahrtausends“ und Moderator der indischen Augabe von „Wer wird Millionär?“, Amitabh Bachchan), der einen seiner Söhne (Sexsymbol und subkontinentaler Superstar Shah Rukh Khan) gegen dessen Willen verheiraten will. Im Folgenden wird viel geweint, noch mehr getanzt und bei Bedarf gesungen.

So werden Lichtjahre entfernt vom indischen Alltag, ganz alltägliche Probleme (das Kastenwesen, die Auflösung der Familie, die Liebe) verhandelt und letztlich einer konservativen Lösung zugeführt. Bollywood? Ein Musical auf Ecstasy, eine Telenovela auf Speed – womit RTL2 voll im Trend liegt.

„Wir haben Perlen gefunden auf einem Feld, wo andere noch gar nicht gesucht haben“, sagt Senderchef und TV-Trendscout Josef Andorfer: „Gib mir keine Logik, gib mir Gefühl“, dieses Bollywood-Mantra will er jetzt dreimal auf die Zuschauer loslassen, bis dann auch hier ein höchst logisches Instrument entscheidet: die Quote. Für die zwei Stunden und 58 Minuten „K3G“ gilt bis dahin: „American films make sense. Indian films don’t“ – und das ist eben das Schöne daran.