zwischen den rillen: Grenzen auf für alles
„Stranded In The USA“ und „Dirty Laundry“: zwei Compilations widmen sich dem hybriden Sound des anderen Amerika
Lange ist es nicht her, dass das letzte Mal über den amerikanischen Kulturimperialismus geschimpft wurde, vor ein paar Wochen war es, als die Quotendebatte wieder einmal ihr hässliches Haupt erhob und Künstler wie Politiker die Gefahren beschworen, die aus Übersee für das deutsche Popkulturgut drohen würden. Nun ist dazu ja eigentlich alles Nötige gesagt. Doch wenn man sich die wunderbare „Stranded In The USA“-Compilation anhört, die 26 Songs aus verschiedenen Einwanderercommunitys der USA präsentiert, aufgenommen in der ersten Häfte des vergangenen Jahrhunderts, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der weltweite Siegeszug der amerikanischen Popkultur eben nicht nur seiner ökonomischen Überlegenheit geschuldet sein dürfte. Noch wichtiger dürfte der Umstand sein, dass in dem multiethnischen Underground, der der Erfindung des Pop wie wir ihn heute kennen vorausging, so viel verschiedene Einflüsse zusammenkamen, dass bis heute schlicht für jeden etwas dabei ist.
Nun ist diese Idee ja keineswegs neu, der amerikanische Journalist Greil Marcus hatte sich dieser Musik schon in seinem Buch über Bob Dylans „Basement Tapes“ zugeneigt (schließlich arbeitete jener sich für diese Aufnahmen durch genau diese Überlieferung). Doch was theoretisch einleuchtet, ist ja noch lange durch keine Hörerfahrung gedeckt. Lauscht man den wunderbaren Stücken auf „Stranded“, die der Herausgeber Christoph Wagner zum Großteil als Schellackplatten in einem vergessenen Warehouse in Illinois entdeckte, rauschen sie einem auf einmal entgegen, die verschiedenen Bits & Pieces, die so vertraut und doch fremd erscheinen.
Fremd und vertraut, weil in dieser Musik schon Späteres auf- aber eben auch Früheres durchscheint. So leicht sich diese Musik auf den ersten Blick ethnisieren lässt, so hybrid ist sie tatsächlich. Schön festzustellen etwa in „Little German Ball“ von Howie Bowe & His Little German Band, wo von dem Deutschtum nicht viel mehr übrig geblieben ist als die Instrumentierung, ein Polkarhythmus und ein paar deutsche Worte: „Die people, die kommen von hier und von far / and everyone’s happy, everybody’s dancing at the little german ball“.
Tatsächlich ist das Einzige, was dem hier präsentierten vielstimmigen Sound der europäischen Diaspora noch zur universalistischen Popmusik fehlt – all diesen deutschen, böhmischen und polnischen Polkas, den sizilianischen Liedern, den portugiesischen Fados, finnischen Holzfällerliedern, irischen Abschiedssongs und jiddischen Kabarettstücken –, die Verschmelzung mit dem Sound des schwarzen Amerika. Wobei man aber bei einem Stück der Old Regular Baptist Church, einer erzkonservativen protestantischen Sekte, in der alle möglichen Singstile aus dem England des 18. Jahrhunderts nachhallen, bemerken kann, dass auch die Musik der Afroamerikaner mitnichten abgekapselt von der der anderen Communities entstanden ist. Für popsozialisierte Ohren klingt es nämlich wie eine Gospelvariante (es ist das einzige Stück, das Wagner aus den Archiven des legendären Liedersammlers und Folk-Vordenkers Allan Lomax übernommen hat).
Die offene Grenze zwischen vermeintlich weißer und schwarzer Musik ist auch das Thema der Compilation „Dirty Laundry – The Soul of Black Country“, die in 24 Stücken eine Geschichte der schwarzen Countrymusik erzählt. Von James Brown über Solomon Burke bis zu Bobby Womack: Kaum ein Soulsänger aus dem amerikanischen Süden, der keine Countrystücke aufgenommen hat. Wobei es eine Geschichte gegenseitiger Befruchtung ist. Denn die Kunstform des Countrysongs, so Herausgeber Jonathan Fischer in seinen Liner Notes, hätte Arten des Geschichtenerzählens angeboten, die dem Blues gefehlt habe. TOBIAS RAPP
„Stranded In The USA“ und „DirtyLaundry – The Soul of Black Country“,beide Trikont/Indigo
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