Servus Bayern

Der CSU-Parteitag markiert das Ende des bundespolitischen Einflusses von Stoiber. Sein Kampf gegen die Kopfpauschale musste scheitern, weil er kein schlüssiges Konzept hatte

Ausgerechnet Guido Westerwelle wird durch den Kompromiss der Union gestärkt

Als Bayer könnte man heute fast melancholisch werden, denn der CSU-Parteitag markiert das Ende einer Ära. Bayern wird zu einem Bundesland wie alle anderen. Was Helmut Kohl immer wollte, aber nie geschafft hat, ist Angela Merkel überraschend schnell gelungen: Sie hat die Christlich-Soziale Union als gleichrangigen Gegenspieler ausgeschaltet.

Wenn Merkel heute nach München fährt, hat sie nichts mehr zu befürchten. Jede CDU-Regionalkonferenz ist für Merkel gefährlicher als der CSU-Parteitag. Vorbei die Zeiten, als ihr Glück noch davon abhing, ob die bayerischen Delegierten während ihrer Rede klatschen – oder demonstrativ Zeitung lesen und gähnen wie vor drei Jahren. Damals zeigten sie ihr ungeniert und bayrisch-deftig: Du hast uns nichts zu sagen, unser Stoiber Edmund ist sowieso die Nummer eins und wird Kanzlerkandidat. Heute sind die Christsozialen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Merkel noch weh tun zu können. Ja, sie werden sich ihr sogar vollständig ergeben. Der so genannte Gesundheitskompromiss ist ihre Kapitulationserklärung.

Vielleicht hätten das nicht alle gleich gemerkt, wenn Horst Seehofer stillgehalten hätte. Hat er aber nicht. Hinter seinem wütenden Protest steckt mehr als gekränkte Eitelkeit. Er entspringt, zumindest teilweise, echter, fester Überzeugung. Nur deshalb ist er wirkungsvoll. Seehofers schonungslose Kritik macht die historische Niederlage für die CSU unvertuschbar. Historisch? Hat die CSU nicht immer nachgegeben, wenn es darauf ankam? Ja, sie hat den Euro akzeptiert, das Zuwanderungsgesetz und den Bundespräsidenten Köhler. Doch: Das war nichts, im Vergleich zu einem grundlegenden Systemwechsel im Gesundheitswesen. Hier geht es um den Kern des Sozialstaats alter Prägung und damit um den Kern der CSU. Deshalb ist Stoiber ja in die Schlacht gegen die Kopfpauschale gezogen – und deshalb ist es so verheerend, dass er sie verlor.

An der Richtung, die Merkel vorgegeben hat, ändern auch die paar Bremsklötze nichts, die Stoiber hineinverhandelt hat. Das von der Union beschlossene Konzept wird zwar erst mal in der Schublade landen, wie Stoiber zu Recht sagt. Aber dann kommt ein anderes – und bestimmt keines, das zurück in Richtung CSU geht. Stoiber hat seinen ganzen Einfluss verschwendet für ein paar Kommas in einem Konzept, das nicht kommt, für einen taktischen Teilerfolg, der ihm nichts bringt außer Unmut von links und rechts. Den einen gehen seine Zugeständnisse zu weit, den anderen nicht weit genug. Und Letztere sind bei den Entscheidungsträgern, die für die Union von Bedeutung sind, eindeutig in der Mehrheit. Dem geballten Druck von CDU, wirtschaftsnahen Experten, Arbeitgebern und einem großen Teil der Medien, die nur „klare Konzepte“ goutieren, egal wohin sie führen, hat er nichts mehr entgegenzusetzen.

Entscheidend ist, dass Stoiber aufgegeben hat, was er ein Jahr lang als oberste Priorität der CSU ausgab: kleine Einkommen, kleine Beiträge, große Einkommen, große Beiträge. Wie man das beschlossene Konzept auch dreht und wendet, es sieht vor, dass der bayerische Biergartenwirt genauso viel für die Gesundheit zahlt wie sein Kellner: 109 Euro. Und wer glaubt, dass es dabei bleibt, wird selig. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass die CDU-Chefin an ihrem Privatisierungskurs festhält – und auf die FDP als Partner setzt, die sich jetzt als einzige echte Reformkraft präsentieren kann. Ausgerechnet Guido Westerwelle wird durch den Kompromiss der Union gestärkt. Es ist sein zweiter Triumph in diesem Jahr – nach der Bundespräsidentenkür auf seinem Sofa. Eine größere Demütigung kann es für die CSU nicht geben, die sich in Regierungskoalitionen immer auch gegen die FDP profilierte.

Stoiber hat einen großen strategischen Fehler begangen. Gegen Merkels Kopfpauschale wäre er nur angekommen, wenn er eine ernst zu nehmende Alternative vorgelegt hätte. Dafür hätte er einen echten und nicht nur erkennbar taktisch motivierten Konflikt riskieren müssen. Er hätte sich rechtzeitig – vor Rot-Grün – die Grundidee der Bürgerversicherung zu Eigen machen können, wie es Seehofer vorschlug. Unmöglich? Vielleicht. Aber einfach auf dem Statuts quo zu beharren, wie es Stoiber und Seehofer machten, war völlig aussichtslos. Um Merkel zu schaden, hat er es versucht.

Am Ende ging es ihm nur noch darum, sein Gesicht zu wahren. Doch mit seinem Grundsatzeinverständnis zur Kopfpauschale hat er seiner CSU das Genick gebrochen. Die CSU war immer vor allem deshalb stark, weil sie sich glaubwürdig als Partei des ganzen Volkes, gerade auch der „kleinen Leute“ präsentieren konnte. Diesen Kredit hat Stoiber verspielt – auf eine Weise, die rational nicht mehr zu erklären ist. Obwohl jedem Beobachter der Union seit langem klar ist, dass Stoiber nie und nimmer noch einmal Kanzlerkandidat wird, hat er seine gesamte Politik seinen bundespolitischen Ambitionen untergeordnet – zu einem Preis, der die Identität der CSU bedroht.

Trotz der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, gegen Merkel ohne eigenes Konzept anzutreten, war ja gerade die Gesundheitspolitik das einzige Feld, auf dem sich die CSU im vergangenen Jahr noch als „sozial“ gerieren wollte. Dass das jetzt so offensichtlich nicht mehr geht, trifft sie im denkbar ungünstigsten Moment. In Bayern selbst läuft die Basis ohnehin schon Sturm, weil Stoiber einen radikalen Sparkurs durchsetzt, der vor allem die „kleinen Leute“ trifft – auch das nur, um 2006, im Jahr der Bundestagswahl, einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren zu können. Doch was nutzt ihm all der Ehrgeiz? Gar nichts. Die CDU, die den Spendenskandal überwunden hat, denkt nicht im Traum daran, zweimal hintereinander einen CSU-Mann in die Wahl zu schicken. Selbst wenn Merkel scheitern sollte – dann wird sie Christian Wulff oder Roland Koch nominieren. Es ist ja kein Zufall, dass sich Merkels Rivalen aus dem Gesundheitsstreit, so weit wie irgend möglich, heraushielten.

Heute ist die CSU viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Merkel noch weh tun zu können

Die bundespolitische Kraft der CSU aber lag immer auch in der Option begründet, dass ihr Spitzenmann noch etwas werden könnte. Nun wird sie niemand mehr ernst nehmen, wenn sie gegen einen Plan der großen Schwester aufbegehrt. Jedenfalls nicht, solange Stoiber Parteichef ist. Auch die erwartbare „Patriotismus“-Offensive, die sein Innenminister Günther Beckstein eingeläutet hat, wird der CSU nichts nützen. Auch dafür ist Merkel, leider, gut gewappnet. Sie kann darauf verweisen, dass sie es wagte, dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan ins Gesicht zu sagen, er habe in Europa nichts verloren. Das zu übertrumpfen, wird auch für Stoiber schwer. Eine offen rassistische Politik kommt eigentlich nicht in Frage. Es sei denn, er verstößt auch noch gegen die bayerische Tradition des „Leben und leben lassen“. Nein, Stoibers Kraft beschränkt sich auf destruktive Sabotageakte in Berlin, und eine selbstzerstörerische Politik in Bayern. Lange wird ihm die CSU dabei nicht mehr folgen.

LUKAS WALLRAFF