Nur der Abstieg boomt

Uni-Studie attestiert deutschem Schulsystem geringe Durchlässigkeit nach oben. Viele scheitern an Hürden

BERLIN taz ■ Einmal Hauptschüler, immer Hauptschüler. Deutsche Schüler können nur schwer in eine höhere Schulform wechseln. Ein Drittel scheitert bis zum Ende der Schulpflicht, die je nach Bundesland 9 oder 10 Jahre beträgt, an Hürden wie Rückstellung und Sitzenbleiben. Zu diesen Ergebnissen kommt eine gestern von der Erziehungsgewerkschaft GEW vorgestellte Studie der Universität Duisburg-Essen zu Auslese und Durchlässigkeit im deutschen Schulsystem.

„Die Wahrscheinlichkeit, abgestuft zu werden, ist dreimal so hoch wie die eines Wechsel in eine höhere Schulform“, sagte der Wissenschaftler Klaus Klemm. Nur 3,2 Prozent eines Jahrgangs schaffen den Sprung nach oben. Dies sei ein wesentlicher Grund für die in Deutschland geringe Abiturquote von 36 Prozent im Vergleich zu 50 Prozent im OECD-Schnitt. Über dem Schnitt liegt Deutschland mit rund 10 Prozent Abgängern ohne Schulabschluss, die kaum Chancen auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben.

Wenige Wochen vor der Vorstellung der Pisa-Studie 2003 am 7. Dezember attestiert der Wissenschaftler dem deutschen Schulsystem „eine strukturelle Rolle rückwärts“. Einige Bundesländer setzen auf immer frühere Aufteilung und höhere Schranken zwischen den Schulformen. Als Beispiel nannte er Niedersachsen, das die zweijährige Orientierungsstufe abgeschafft hat.

Schulexpertin Marianne Demmer von der GEW sieht mit der Studie die Behauptung widerlegt, die Nachteile der frühen Auslese würden durch Wechselmöglichkeiten – beispielsweise von der Realschule ins Gymnasium – ausgeglichen. Sie sprach von einem „Selektionsvirus“, der das deutsche Bildungswesen befallen habe. „Es kann nicht angehen, dass man sich schon mit mit zehn Jahren festlegen muss, ob man Arzt oder Maurer werden will.“ Demmer sieht die GEW-Forderung nach einem integrativen Schulwesen bekräftigt. Unabhängig von den Ergebnissen von Pisa 2003, von denen sie allenfalls marginale Verbesserungen erwartet, sieht sie die Kultusminister in der Pflicht, sich endlich klare und überprüfbare Ziele zu setzen. Es sei erwiesen, dass der Arbeitsmarkt mehr qualifizierte Schulabgänger fordert. Konsequent wäre es, sich „auf eine Abiturquote von 50 Prozent festzulegen und die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten“. Der Politik müsse mit einer „breiten gesellschaftlichen Debatte“ Druck gemacht werden. JOCHEN SETZER