Glycerin ist kein Abfall

Zunehmende Preisschwankungen am Glycerinmarkt beunruhigen die Biodiesel-Hersteller. Einnahmen aus dem Glycerinverkauf sind schwerer kalkulierbar als erwartet

Man muss lernen,mit den langfristigenSchwankungenumzugehen

Ohne einen ordentlichen Erlös aus dem Verkauf des Nebenproduktes Glycerin kann keine Biodieselfabrik ihren Treibstoff zu konkurrenzfähigem Preis anbieten. Die Schmerzgrenze liege bei etwa 500 Euro pro Tonne hochreinem Pharmaglycerin, sagt Erich Ulferts von der Ölmühle Leer. Diese Untergrenze war im letzten Jahr erreicht, nachdem der Preis lange zwischen 1.000 bis 1.100 Euro gelegen hatte.

Inzwischen hat sich der Preis zwar wieder bei gut 700 Euro je Tonne gefangen, doch er liegt damit noch immer zu niedrig, um den Biodieselherstellern ausreichende Einnahmen zu sichern: „800 bis 900 Euro sollten es schon sein“, rechnet Jens Haupt von der Arbeitsgemeinschaft Qualitätsmanagement Biodiesel (AGQM) vor.

Dass sich die Marktsituation für Glycerin dauerhaft entspannen wird, ist unterdessen nicht absehbar: „Die Hersteller rechnen nicht mit einem anhaltenden Preisanstieg“, sagt Karin Retzlaff vom Verband der Biodieselhersteller. Die Branche stelle sich vielmehr darauf ein, dass sie auf Dauer anders als bisher kalkulieren müsse.

Denn beim Glycerin liegt bis auf weiteres ein Überangebot nahe, da die Produktion von Biodiesel weiter steigen wird. In diesem Jahr sollen in Deutschland etwa eine Million Tonnen Biodiesel erzeugt werden, in einigen Jahren könnte es fast doppelt so viel sein, womit man dann bei fünf Prozent des Dieselmarktes angelangt wäre. Der Glycerinausstoß würde gleichermaßen verdoppelt, da bei der Umesterung naturgesetzlich aus jeder Tonne Rapsöl 120 Kilogramm Glycerin entstehen.

Gleichwohl sehen Branchenkenner keinen Grund zur Panik –eher Anlass für eine bessere Planung. „Heute gehört ein klares Vertriebskonzept für alle Nebenprodukte zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung dazu“, sagt AGQM-Sprecher Jens Haupt. So sollte „die Suche nach entsprechenden strategischen Partnern bei der Gründung eines Biodiesel-Unternehmens heute die erste Tat sein“, legt Haupt Neueinsteigern nahe.

Entscheidend kann auch sein, ob Biodiesel-Hersteller das Nebenprodukt zu hochreinem Pharmaglycerin veredeln oder als Rohglycerin zu etwa halbem Preis verkaufen – beides kommt in der Branche vor, und beides ist gleichermaßen vernünftig. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich mit Pharmaglycerin trotz aufwändiger Veredelung einerseits zwar bei gutem Markt unterm Strich mehr Geld verdienen lässt. Doch andererseits gilt das Geschäft mit Pharmaglycerin als spekulativer im Vergleich zum Rohglycerin, dessen Preis sich etwas stabiler entwickelt hat.

Experte Haupt verweist auch darauf, dass „Stoffmärkte generell sehr verzahnt“ seien und man sich daher niemals sicher sein könne, Preisentwicklungen vorausahnen zu können. Man müsse vielmehr lernen, mit oft sehr langfristigen Schwankungen umzugehen. So habe etwa der Markt des Chlorwasserstoffs in den vergangenen 150 Jahren ein halbes Dutzend Zyklen zwischen Mangel und Überfluss erlebt – und die Industrie habe gelernt, damit zu leben.

Den simplen Schluss, eine steigende Biodieselproduktion könnte den Glycerinmarkt weiter überschwemmen und die Preise weiter drücken, hält Haupt aufgrund der vielschichtigen Marktkräfte für nicht angebracht. Schließlich ist Glycerin ein vielfältig einsetzbarer Stoff, und somit könne man in Zukunft von neuen, bisher ungeahnten Einsatzgebieten ausgehen.

Schon heute wird der Stoff für unterschiedlichste Anwendungen genutzt: in Salben und Kosmetika zum Beispiel, als Appretur in der Textilwirtschaft, zum Feuchthalten von Tabak, als Bremsflüssigkeit und Frostschutzmittel. Ferner als Weichmacher und hygroskopischer Zusatz für Farbbänder und Druckfarben sowie als Beimischung zum Tierfutter. Auch für Zahncreme kommt Glycerin als Ersatzstoff für Sorbitol in Frage.

Trotz eines unberechenbarer werdenden Glycerinmarktes ist zumindest eine Befürchtung nicht real – ausgerechnet die angesehene Wochenzeitung VDI-Nachrichten hatte diese vor einigen Monaten verbreitet: Die Hersteller von Biodiesel würden „schon jetzt ihren Glycerinabfall nicht los“, war zu lesen.

Doch diese Formulierung leitet in eine völlig falsche Richtung. Sie vermittelt den Eindruck, Glycerin habe gar ein Entsorgungsproblem. Das aber ist völlig undenkbar – welche Mengen des Stoffes auch immer eines Tages auf den Markt drängen mögen. Denn Glycerin ist kein Abfall. Als Energieträger könnte es sogar in Biogasanlagen nutzbringend verwertet werden. Was heute allein deswegen nicht üblich ist, weil dafür der Glycerinpreis noch immer erheblich zu hoch ist. BERNWARD JANZING