Ohne Hilfe isst die Angst die Seele auf

Das „Kölner Opferhilfemodell“ hilft Menschen, traumatische Erlebnisse besser zu verarbeiten. Denn oft werden Traumata von Therapeuten zu spät oder gar nicht erkannt, sagt der Gründer des Modells, Professor Gottfried Fischer

Köln taz ■ Wie geht man mit Menschen um, die einen Schock erlitten haben? Die in einen Verkehrsunfall verwickelt waren, vergewaltigt oder überfallen wurden? Und die dadurch traumatisiert sind? „Der Normalfall ist, dass diese Menschen gar keine Hilfe bekommen“, sagt Gottfried Fischer von der Universität Köln. „Und wenn, dann passiert das auch eher zufällig.“

Der Direktor des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie überlässt die Hilfe für die Opfer nicht dem Zufall. 1995 gründete er das „Kölner Opferhilfemodell“, das zunächst bundesweit einzigartig war, bis die Landesregierung drei Jahre später beschloss, es in ganz NRW umzusetzen.

Der Grundgedanke ist denkbar einfach und eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Gewalt- und Unfallopfern sollte sofort geholfen werden. In der Psychotherapie sei allerdings oft mehr als ein Jahr Wartezeit üblich, sagt Fischer. Außerdem ist die Opferhilfe-Therapie speziell auf Patienten zugeschnitten, die durch einen Unfall oder eine Gewalttat traumatisiert sind. Etwa zehn Therapiestunden reichten dann im Normalfall aus, um das Geschehene so zu verarbeiten, dass keine Folgeschäden zu erwarten sind. Bei Patienten, die dazu noch unter einer psychischen Störung oder einem Trauma aus der Kindheit leiden, bedürfe es allerdings einer längeren Therapie. „Das Problem ist nicht, dass wir das Trauma nicht behandeln können“, sagt Fischer.

Die Schwierigkeit bestehe vielmehr darin, das Trauma überhaupt zu erkennen. Im Durchschnitt dauert es acht Jahre, so Fischer, bis ein Trauma bei einem Patienten diagnostiziert wird. Der Grund: Keiner möchte damit konfrontiert werden. Das Opfer nicht, das alles tue, um nicht daran erinnert zu werden, und somit auch nicht aktiv Hilfe aufsuche. Und auch die Ärzte vermieden es oft, über das Thema zu sprechen. Fischer: „Die verschreiben lieber eine Pille gegen Depressionen, als der Sache wirklich auf den Grund zu gehen.“

Doch auch Ärzte, die den Opfern anders helfen wollen, haben Fischer zufolge Schwierigkeiten mit der Diagnose. Normalerweise würden Gutachter ein Trauma daran festmachen, ob die Aussagen des Opfers widerspruchsfrei seien. Wenn also das Mädchen, das vergewaltigt wurde, bei jeder Vernehmung das gleiche aussagt, liegt ein Trauma vor. Ist dies nicht der Fall, wird sie als unglaubwürdig abgestempelt, so Fischer. „Es kommen so viele Täter bei Gericht davon, weil das Opfer als unglaubwürdig eingeschätzt wird“, sagt Fischer. „Und das nur, weil Experten nicht in der Lage sind, das Trauma zu diagnostizieren.“

Im Kölner Opferhilfemodell läuft das anders. Studien haben ergeben, dass viele Trauma-Patienten oftmals gar nicht in der Lage sind, widerspruchsfreie und konsistente Aussagen zu machen. In den meisten Fällen gehe das Trauma nämlich mit einer Amnesie einher. Heißt: Das Opfer hat an einigen Stellen ganz einfach einen Filmriss, weiß Fischer. Daher macht man im Kölner Opferhilfemodell das Trauma an anderen Kriterien fest. „Trauma-Patienten sind eine vernachlässigte Gruppe in der Psychotherapie“, sagt Fischer. „Wir wollen in unserer Behandlung neue Wege finden, um ihnen helfen zu können.“ Anne Hansen