Jäger ohne Pathos

Selbstsicher entstaubt: „Der Freischütz“ auf Kampnagel

Traditionen tragen kleine Brillen, festes Schuhwerk und grüne Trachtenjacken. Ihre Köpfe sind kahl, und über dem Gürtel spannt ein Bauchansatz. So präsentierte sich am Freitag auf Kampnagel der Jägerchor zur Premiere von Carl Maria von Webers Freischütz. Doch statt im Wald positioniert Regisseur Andreas Bode die Chormitglieder auf einem Grünstreifen. Die Musik ist bereits im Gange. Das Publikum sitzt sich gegenüber, dazwischen die Bühne. Auf einer angrenzenden Terrasse, auf unbequemen Gartenstühlen: das Orchester.

Aus diesen ersten Andeutungen eines ungewöhnlichen Opernabends wird bald die Gewissheit, eine gelungene Entstaubung der fast zwei Jahrhunderte alten Oper zu erleben. Bode lässt traditionalistischen Geist und modernes Operregietheater aufeinander treffen. Das Resultat glänzt durch Ausgewogenheit.

Im Zentrum der konzeptionellen Auseinandersetzung stehen die alteingesessenen Hamburger Männergesangsvereine Quartett Mozart und Hamburger Liedertafel. Um sie herum tänzeln die jungen Sänger Stefan K. Heibach (Max) und Matthias Klein (Caspar), die Ausdruck nicht nur ihrer Stimme überlassen. Sie frotzeln sich an, bis sie prügelnd über den Rasen rollen.

Den Sängerinnen Larissa Krochina (Agathe) und Marret Winger (Ännchen) dagegen kommen die Opernarien zu – ein nicht störendes anachronistisches Element. Und die Bühne entfaltet in der Wolfsschlucht-Szene große Kraft: Hinter weißen Plastikplanen werden hier wie im Versuchslabor die teuflischen Kugel gegossen – unterlegt mit sexuellen Konnotationen und freudscher Psychoanalyse, die bei Max zum Gesinnungswandel führt.

Bodes und Engels Deutung des Zwielichtigen als Mittel zum Machterhalt erhält schließlich – anders als bei Weber – den Segen der Jägerschaft. Moralisch gehen die Traditionalisten also in die Knie. Gegen die Absage an den Fortschritt setzt Dirigent Titus Engel musikalische und szenische Akzente; dabei verlässt er auch schon mal sein Pult und stampft mit wehendem Haar hinter dem Chor entlang. Eine erfrischende Selbstsicherheit, die ihresgleichen sucht.

Christian T. Schön

weitere Aufführungen: 25., 26.11., 20 Uhr, Kampnagel