Vier Semester Dispo, dann zahlen

Studierende demonstrieren gegen Unigebühren aller Art. In Berlin führt die PDS Studienkonten ein: Wissenschaftssenator Flierl will damit Gebühren verhindern. Parteifreunde und Studenten finden: So wird das Bezahlstudium erst möglich gemacht

Wer seinen Vorschuss auf dem Studienkonto aufgebraucht hat, muss Credits nachkaufen

von MEIKE RÖHRIG

In Deutschland gehen Studierenden zurzeit auf die Straße. Zehntausende waren es in München, Berlin und Hannover. Der Protest richtet sich gegen weitere Kürzungen an den Unis – und gegen Studiengebühren. Dabei ist es in Deutschland gesetzlich verboten, Gebühren fürs Studium zu erheben. Wogegen demonstrieren die Studis also?

Das Gebührenverbot, von Rot-Grün 2001 ins Hochschulrahmengesetz geschrieben, könnte bald fallen. Mehrere CDU-geführte Bundesländer klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gebührenverbot. In Berlin hat der SPD-PDS-Senat einen subtileren Weg gefunden, Gebühren zu kassieren – er will Langzeitstudierer zur Kasse bitten. Über so genannte Studienkonten sollen Studierende dazu motiviert werden, ihr Studium möglichst zügig zu absolvieren. Wer sich beeilt, bekommt Bonuspunkte. Wer trödelt, der zahlt. Und das nicht zu knapp: 500 Euro pro Semester soll blechen, wer sein Konto aufgebraucht hat, ohne einen Abschluss in der Tasche zu haben.

Das Modell von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) basiert auf einem europäischen Punktesystem, das zwei Ziele erfüllen soll: die Leistungen des einzelnen Studis zu kontrollieren – und Studienleistungen innerhalb Europas vergleichbar zu machen. Jeder Studierende erhält pro Semester 30 so genannte Credits, das sind Bonuspunkte, die er in Lehrveranstaltungen seiner Wahl investieren kann. Für das gesamte Studium stehen 300 Credits zur Verfügung. Wer sein Guthaben nicht innerhalb einer bestimmten Zeit aufbraucht, muss es teuer nachkaufen – denn Credits können verfallen. Die Zeitspanne, die den Studis eingeräumt wird, um ihre Credits einzulösen, umfasst die Regelstudienzeit plus vier Semester, bei Diplomstudien sogar die doppelte Studienzeit.

Wer in dieser Zeit den Abschluss nicht schafft, weil er etwa das Fach gewechselt hat oder öfter mal ein Seminar wiederholen musste, zahlt drauf. Und wer nicht zahlen kann, muss sein Studium wohl oder übel abbrechen. Härtefällen sollen Sonderkonditionen zugestanden werden: Studierende, die Kinder erziehen, Familienangehörige pflegen oder Teilzeit arbeiten, dürfen länger studieren – ehe auch sie nachzahlen müssen.

Ähnliche Modelle sind in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hessen geplant. In Rheinland-Pfalz gibt es bereits Studienkonten, um langsamen Studenten Beine zu machen.

Wissenschaftssenator Flierl betont, dass das Kontensystem keine Strafgebühr sei – sondern ein Leistungsanreiz. So bekommen diejenigen, die ihr Studium schneller als vorgesehen durchziehen, Credits gutgeschrieben. Damit können sie sich dann zusätzliche Sprachkurse oder ein Aufbaustudium leisten. PDS-Mann Flierl findet nicht, dass Studienkonten Studiengebühren seien. Im Gegenteil, er hält sie für die einzig erfolgversprechende Alternative zum ordinären Bezahlstudium.

Studentenvertreter sehen das anders: „Wir sind generell gegen eine private Finanzierung des Studiums“, sagt Ralf Hoffrogge vom Asta der Freien Universität. „Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe und sollte öffentlich finanziert werden.“ Das Kontenmodell führe zu einer totalen Ökonomisierung des eigenen Lernverhaltens: „Fachfremde Veranstaltungen oder Sprachkurse sparen sich die Leute dann lieber, um ihr Punktekonto nicht zu belasten“, fürchtet Hoffrogge. Weil die Gebühren in der Abschlussphase fällig würden, befürchtet der Asta-Aktivist massenweise Studienabbrüche.

Auch der Referentinnen-Rat der Humboldt-Uni lehnt die Studienkonten ab: Sie seien keine Alternative, sondern eine Vorstufe zu Uni-Gebühren. Durch stetiges Verkleinern des Startguthabens und Erhöhung der Strafzahlungen lasse sich die Gebührenschraube mühelos anziehen – bis hin zum Bezahlstudium.

Flierls Modell ist auch in den eigenen Reihen umstritten. Der Wissenschaftssenator verlor seinen Staatssekretär Peer Pasternack – weil der die Studienkonten nicht mittragen wollte. Auch junge PDS-Mitglieder kritisierten den Senator scharf. Sie warfen ihm vor, den jahrelangen Kampf gegen Studiengebühren ad absurdum zu führen. Zu den Unterzeichnern zählte PDS-Vizechefin Katja Kipping. Auch der hochschulpolitische Sprecher der Berliner PDS-Fraktion, Benjamin Hoff, spricht sich gegen die Konten aus. Hoff pocht darauf, dass der Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS solche Gebühren ausschließe.

Selbst die Unileitungen, die durchaus offen für Studiengebühren sind, sehen Flierls Pläne kritisch: „Wir lehnen das Modell in seiner jetzigen Form ab“, sagt der Vizepräsident der Technischen Uni, Jörg Steinbach. Das Kontenmodell führt seiner Ansicht nach dazu, dass ineffiziente Veranstaltungen gestrichen werden – das sind solche, die von Studenten schlecht nachgefragt werden. Steinbach: „Das setzt aber voraus, dass es solche Veranstaltungen überhaupt gibt. Wir halten das für eine Unterstellung.“ Steinbach findet auch den Aufwand zu hoch, der anfällt, wenn die Hochschulen künftig die Studienkonten verwalten. „Wir müssten unsere Administration vergrößern, statt sie zu verschlanken.“

Nur einer in Berlin freut sich jetzt schon über die Studienkonten – Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Er hat die Gebühren, die erst 2005 offiziell eingeführt werden, bereits jetzt im Berliner Doppelhaushalt 2004/2005 verbucht – mit rund 10 Millionen Euro Einnahmen. Sarrazin hat flugs gerechnet. 24.000 von 135.000 Studierenden befinden sich in Berlin jenseits der Regelstudienzeit, sie sind potenzielle Zahlkandidaten. Das Geld wird übrigens in die Senatskasse fließen. Die Unis sehen keinen Cent – obwohl die Studis durch das Kontensystem zu Kunden werden und gute Lernbedingungen einfordern können.

Bei so viel Gegnerschaft fragt sich, was der eigentliche Zweck der Gebühren ist. Die Kontrolle der Studenten könnte das Mittel sein, mit dessen Hilfe sich das hoch verschuldete Berlin eine viel größere Einnahmequelle erschließen will: Mit ihrer Hilfe könnte das Land Berlin bei der Verfassungsklage um Sanierungshilfen des Bundes nachweisen, wie viel es für die Ausbildung von jungen Menschen aus anderen Bundesländern leistet. Das wäre die Voraussetzung für einen Hochschulländerfinanzausgleich – den Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) vor zwei Tagen in die Debatte warf.