„Was ist denn das für eine Hatz?“

Christiane Howe arbeitet für die Organisation agisra e. V. mit ausländischen, illegal eingereisten Prostituierten. Die Frankfurter Soziologin wundert sich über die jüngsten Skandale um osteuropäische Huren und die Lust auf gewaltvolle Opfergeschichten: „Das müssen immer gefallene Mädchen sein“

Interview STEFAN KUZMANY

taz: Frau Howe, wie schätzen Sie die Aufregung um osteuropäische Prostituierte ein?

Christiane Howe: Ich kann sie nicht ganz nachvollziehen. Diese Frauen – sind sie Prostituierte oder Gezwungene? Sind sie Opfer von Menschenhandel? Es wird immer betont, sie seien illegal hier. Das bedeutet aber nicht sofort und gleich, dass sie Opfer von Menschenhandel sind. Das geht ziemlich durcheinander.

Bringen Sie bitte etwas Ordnung ins Chaos.

Illegal, das ist fast immanent, weil das deutsche Ausländerrecht es nicht hergibt, dass Frauen, die hier in der Prostitution arbeiten wollen, das ganz legal tun können. Die Frauen haben also zwei Möglichkeiten: Entweder sie heiraten, oder sie haben einen EU-Pass. Das bedeutet für Frauen, die von weither kommen und sich nicht verheiraten wollen – was ein Abhängigkeitsverhältnis begründen würde oder wo Geld bezahlt werden muss –, dass sie Vermittler in Anspruch nehmen müssen, die diesen Arbeitsmigrationsweg gestalten können.

Sie meinen Schlepper.

Da gibt es im Herkunftsort jemanden, Männer oder auch Frauen, den die Frauen ansprechen können oder die die Frauen ansprechen. Frauen vielleicht, die selbst schon weg waren. Dann gibt es manchmal jemanden, der die Reise begleitet. Und dann gibt es meistens jemanden hier vor Ort. Die Frauen reisen legal als Touristinnen ein. Das Problem ist nur: Wenn sie als Touristinnen erwerbstätig werden, machen sie sich ausländerrechtlich strafbar. Das bedeutet dann, sich hier illegal aufzuhalten. Der Umstand, dass die Frauen diesen Weg wählen mussten, dass sie illegale Strukturen benutzt und bezahlt haben, um hierher zu kommen, bedeutet nicht gleich, dass sie Opfer von Menschenhändlern sind oder werden.

Also Opfer von organisierten Kriminellen aus Osteuropa, Opfer der Russenmafia?

Ich kann nicht einschätzen, wie stark diese Strukturen sind. Das BKA definiert es so: Ab drei Personen, die miteinander abgestimmt solche Wege öffnen oder erarbeiten, handelt es sich um organisierte Kriminalität. Meistens sind es drei bis sechs Leute, das ist auch unsere Erfahrung. Es sind also nicht oder wenig diese riesigen Ringe. Aber die kennen ganz genau den Herkunftsort und den Wohnort der Familie – und das reicht eigentlich.

Es heißt, all diese Frauen seien verschleppt, geschlagen und gezwungen werden.

Diese unheimlich gewaltvollen Geschichten, die jetzt erzählt werden, die gibt es in extremen Einzelfällen. Aber die Familie ist natürlich ein Druckmittel. Zu sagen, deinem Kind passiert was, wenn du nicht spurst und zahlst. Weil es sich in der Illegalität abspielt, in der Grauzone, gibt es zig Möglichkeiten, Abhängigkeitsstrukturen aufzubauen. Gewalt, ohne zuzuschlagen, es ist also strukturelle Gewalt. Zum Beispiel, dass die Frauen ihre Rechte nicht wahrnehmen können. Denn wenn sie es tun, outen sie sich. Und dann ist meistens Ausweisung angesagt. Die Frage ist doch: Wie soll man sich Prostitution mit einer Frau vorstellen, die sichtbar vergewaltigt wurde und, wie es immer heißt, gebrochen? Dass die dann in der Prostitution aktiv arbeiten könnte? Das geht an dem, was Prostitution ist, völlig vorbei. Da steckt zunächst einmal eine unglaubliche Diskreditierung der Arbeit von professionellen Prostituierten drin. Das ist völlig absurd.

Wie kommen dann diese Geschichten zustande?

Das hängt mit dem mühsamen Versuch der Erklärung zusammen, warum Frauen das machen. Ich denke, für viele ist die Opfergeschichte einfach und zugänglich. Das müssen immer gefallene Mädchen sein. Opfer. In irgendeiner Form missbraucht. Es ist leichter zu sagen: Das tun Frauen nur unter Zwang. Sei es, dass sie in eine Zwangslage kommen, sei es, dass sie aus einer Zwangslage kommen. Zum Beispiel aus einer Armutslage.

Wenn die Frauen einen besseren Job finden könnten, würden sie doch den nehmen.

Ja. Aber als professionelle Prostituierte kann man natürlich einen Nettoverdienst erreichen, da müsste man sonst schon im oberen Management tätig sein. Das ist für Frauen kein einfacher Weg. Dann gibt es viele Huren, die mögen die freie Zeiteinteilung in ihrem Beruf. Es gibt Frauen, die es spannend finden. Es gehört nicht unbedingt Gewalt dazu. Was man als Prostituierte leisten muss, ist, die Schamgrenzen zu versetzen. Und man muss eine professionelle Distanz zum Job haben, und zwar nicht gemeint als Abschneiden vom Körper, sondern im Sinne von aktiver Dienstleistung. Es ist kein einfacher Job.

Sie sind Sprecherin des Frauenrates der Heinrich-Böll-Stiftung. Was sagen denn Feministinnen zu Ihren Thesen?

Die altfeministische Liga hält Prostitution per se für patriarchale Ausbeutung und Gewalt, einen Bereich, in dem Männer ihre Macht und Dominanz ausleben. Im feministischen Diskurs ist diese Macht- und Dominanzklamotte eine ganz wichtige Sache, der Dreh- und Angelpunkt. Das ist schwierig. Das Problem bei Frauen, so erlebe ich es auf Vorträgen immer wieder, ist, dass sie sich immer sofort überlegen, ob sie das selbst könnten. Und das Verhältnis zur Prostitution ist ganz stark davon geprägt. Man sieht das immer bei Vorträgen in den Gesichtern der Frauen: Oh Gott, wie wäre das, und die stellen sich dann die ganzen Männer in der U-Bahn vor, und wie wäre das, und ich müsste die jetzt irgendwie sexuell … (ahmt lautmalerisch Erbrechen nach). Und dann kommt sofort dieses Gezwungensein und Opferbild.

Die Altfeministinnen wollen die Realität nicht anerkennen?

Da gibt es heillose Diskussionen. Ich finde, da gibt sich dann das Schwarzer-Lager die Hand mit dem Papst. Sehr einseitig. Für fatal halte ich eine Position, die ich auch immer wieder höre: Ich bin für die Prostituierte, aber gegen Prostitution. Das bedeutet doch: Ich unterstütze die Frau, helfe ihr, aber ich bin gegen das, was sie tut. Aber das eine hat mit dem anderen doch ganz viel zu tun.

Es heißt, die Freier interessierten sich nicht für die Situation der Prostituierten.

Das ist schon richtig. Und auch vollkommen okay. Jetzt mal aus der Perspektive einer professionellen Prostituierten gedacht: Für die ist das nicht so interessant, wenn sich der Freier für das Umfeld interessiert. Es interessiert uns ja auch nicht im Dienstleistungsbereich. Freier gehen zu Prostituierten, um ihre Fantasien zu inszenieren. Natürlich treten sie in Beziehung und in Kontakt, aber eben nur in diesem Rahmen. Das ist so, wie ich in Beziehung trete zu einem Therapeuten, wenn ich eine Therapie machen will. Es gibt also ein In-Beziehung-Setzen, das auch sehr intensiv und intim sein kann, aber ich habe dann ja keine persönliche Beziehung in dem Sinne, dass der Therapeut mich als Person interessieren würde.

Das ist vom Therapeuten auch nicht erwünscht.

Und es ist auch von Huren nicht erwünscht. Es geht um eine professionelle Beziehungsebene. Solange die Frauen nicht ganz offen sagen und zeigen, dass sie da rauswollen … also, wenn eine grün und blau geschlagen ist, dann nimmt natürlich auch der Kunde wahr, dass da etwas nicht stimmt. Es ist ja auch nicht so, dass Freier nicht zur Polizei gehen würden, wenn ihnen da etwas komisch vorkommt. Manche zu Unrecht. Da spielen auch Retterfantasien eine Rolle. Manche professionellen Prostituierten sind dann auch etwas abgenervt, wenn sie schon wieder einer retten will.

Was können Sie denn für die Frauen tun, die mit Problemen zu Ihnen kommen?

Wir können zunächst mal in Ruhe mit ihnen sprechen. Und mit der Frau gemeinsam herausfinden, was sie gerne möchte. Es gibt Frauen, die in der Prostitution weiterarbeiten wollen, aber nicht unter diesen Bedingungen. Es gibt Frauen, die wollen nach Hause. Es gibt Frauen, die überlegen sich anzuzeigen. Dann schalten wir die Polizei ein. Wir versuchen also, im Sinne der Frauen zu organisieren.

Wirft die aktuelle Diskussion Ihre Arbeit zurück, oder haben Sie jetzt mehr Möglichkeiten, in die Öffentlichkeit zu gehen?

Beides. Auf der einen Seite finde ich es gut, dass das thematisiert wird. Wir werden jetzt auch viel befragt. Aber es gibt daran etwas, das schon seltsam anmutet: Es geht sehr stark in die Richtung der Kriminalisierung, also Kriminalisierung von Prostitution und auch von Kunden. Diese ganze Sache mit den Listen und den Promis, das hat so einen 50er-Jahre-Touch. Was ist denn das für eine Hatz? Sind wir nicht eigentlich längst an einem anderen Punkt angelangt? Wir haben seit zwei Jahren eine neue Prostitutionsgesetzgebung. Trotzdem hat es immer noch dieses Ruchhafte, dass man damit erpresst werden kann, etwas Antiquiertes, etwas Engstirniges, das ich so nicht mehr erwartet hätte. Von daher tut es auch unserer Arbeit nicht gut. Es wird so wenig genau hingesehen, so wenig getrennt. Und man ist sehr bereit, geradezu begierig darauf, diese ganze Opfergeschichte aufzugreifen, die jetzt schon seit hunderten von Jahren reproduziert wird.