Verbote allein reichen nicht

Im Bundestag ergründeten Experten, was die Berliner Antisemitismuskonferenz der OSZE gebracht hat. Bald soll es einen Beauftragten für das Thema geben

Bald wird es also einen Mister oder eine Misses Anti-Antisemitismus geben. Das ist eines der Ergebnisse der großen OSZE-Konferenz gegen Antisemitismus, die Ende April in Berlin stattfand. Das sagte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Klaus Scharioth, bei einer Anhörung im Bundestag zum Thema Antisemitismus.

Organisiert hatte dieses öffentliche Expertengespräch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, in deren Auftrag der oder die Antisemitismus-Sonderbeauftragte handeln soll. Aller Voraussicht nach wird die OSZE-Ministerkonferenz schon Anfang Dezember die Schaffung dieses Postens beschließen, wie Scharioth für das Außenamt erklärte.

Zur der OSZE-Konferenz gegen Antisemitismus waren Ende April im Auswärtigen Amt etwa 900 Experten von 55 Staaten und 150 Nichtregierungsorganisationen zusammengekommen. Eine „Berliner Erklärung“ war verabschiedet worden, die erstmals auf einer internationalen und völkerrechtlich verbindlichen Ebene Judenhass verurteilt hatte. Auch konkrete Maßnahmen hatte diese Erklärung angemahnt. Die gestrige Anhörung im Bundestag sollte klären, wie diese Abschlusserklärung in konkrete Politik umgesetzt worden ist. Hat die OSZE-Konferenz also etwas gebracht außer großen Worten?

Die Fachleute waren sich weitgehend einig, dass die Konferenz tatsächlich „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“ war, wie Juliane Wetzel vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung es formulierte. Die politische Klasse müsse in den OSZE-Mitgliedstaaten nun jedoch verstärkt Projekte unterstützen, die gegen Antisemitismus kämpften. Die Regierungen im OSZE-Raum müssten auch verbale antisemitische Entgleisungen oder Hetze bekämpfen – etwa wenn öffentlich das Existenzrecht Israels in Frage gestellt werde oder alle Juden in den Mitgliedstaaten für die Politik Israels verantwortlich gemacht würden.

Zudem forderten die Experten auch, dass – wie auf der Konferenz beschlossen – möglichst schnell einheitliche Kriterien und ein umfassendes System zum Erfassen antisemitischer Straftaten im ganzen OSZE-Raum erarbeitet werden müsse. Vor allem aber bei der Grundfrage „Was ist Antisemitismus?“ gab es auf der Anhörung trotz der vorherigen Konferenz zum Thema nach wie vor unterschiedliche Meinungen. So betonte etwa Brian Klug von der Saint Xavier University in Chicago, dass es nach wie vor keine allgemein akzeptierte Definition von Antisemitismus gebe. Er beispielsweise halte auch „unfaire“ und „überzogene“ Kritik an Israel nicht für antisemitisch – während die Mehrheit der anwesenden Experten das Dämonisieren des jüdischen Staates als in der Regel antisemitisch konnotiert einstufte.

Zu einem mittleren Eklat kam es, als der Politologe und Publizist Alfred Grosser aus Paris bemängelte, dass jüdische Organisationen und die israelische Regierung das Leid von Nichtjuden zu wenig anerkennen würden. Grosser, selbst jüdischer Herkunft, wurde daraufhin von mehreren Fachleuten kritisiert. So betonte etwa Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, dass seine Organisation sich aktiv auch für nichtjüdische Gruppen einsetze – auch wenn der Zentralrat dies selten an die große Glocke hänge. Klar sei jedenfalls, dass gegen Antisemitismus „Verbote allein nicht reichen“.

Auch hier gab es einen Konsens. Ob es allerdings, wie es der Bundestagsabgeordnete Gerd Weisskirchen (SPD) zum Abschluss der Anhörung forderte, einen nationalen Aktionsplan gegen Antisemitismus geben wird, ist noch offen.

PHILIPP GESSLER