Im Revier herrscht Rollenklischee

Unternehmen im Ruhrgebiet drücken sich davor, flexiblere Arbeitszeitmodelle einzuführen. Dabei wird familienfreundliche Personalpolitik zunehmend zum Standortvorteil, prophezeien ExpertInnen

AUS GELSENKIRCHENNATALIE WIESMANN

Familienfreundliche Beschäftigungspolitik ist ein zunehmend wichtiger Standortfaktor für Unternehmen. Doch das scheint den Firmen im Ruhrgebiet nicht klar zu sein, denn sie waren der Einladung zur gestrigen Tagung des DGB-Bildungswerks NRW „Gender Mainstreaming im Betrieb“ bis auf ein paar Ausnahmen fern geblieben.

„Das ist immer das gleiche, die Unternehmen denken kurzfristig und lehnen aus Kostengründen eine familienfreundlichere Politik ab“, sagt Martin Merkens vom Referat „Kirche und Arbeitswelt“ des Bistums Münster, einer der wenigen Männer auf der Tagung. Ulrike Ziebuhr vom Verbund für Unternehmen und Familie aus Castrop-Rauxel pflichtet ihm bei: Die Betriebe müssen die demografischen Entwicklung in ihre Personalpolitik einbeziehen, sagt sie. „In zehn Jahren wird es an qualifizierten Arbeitskräften fehlen, dann werden die Betriebe auf Frauen angewiesen sein“. Und diese müssten durch attraktive Arbeitszeitmodelle geködert werden.

Im Kreis Recklinghausen besteht ein ganzes Netzwerk an Institutionen, die sich für eine familienfreundlichere Arbeitswelt einsetzen. Dazu gehört auch der Verbund für Unternehmen und Familie, der seit 1996 Betrieben bei der Einrichtung von flexiblen Arbeitszeitmodellen berät und den Beschäftigten hilft, ihren Arbeitsalltag familienfreundlich zu gestalten. „Leider sind aus ganz NRW erst 34 Unternehmen beigetreten“, bedauert Ziehbuhr.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll jedoch kein „Frauenproblem“ bleiben, so die TeilnehmerInnen der Tagung. Denn auf das steigende Bedürfnis bei Vätern, an der Erziehung ihrer Kinder teilzunehmen, muss auch die Wirtschaft reagieren. „Männer, die Teilzeit arbeiten wollen oder Erziehungsurlaub beantragen, werden karrieremäßig in die Steinzeit versetzt“, weiß Marit Rullmann vom DGB-Bildungswerk. In Schweden würde es dazu gar nicht kommen, da Väter zu einer Beteiligung am Erziehungsurlaub gesetzlich verpflichtet würden. Dass sich das hierzulande durchsetzt, hält sie jedoch für „völlig unwahrscheinlich“. Besonders im Ruhrgebiet herrsche außerdem noch das Rollenverständnis aus der Zeit der Montanindustrie weiter: „Die Männer waren stolz darauf, wenn ihre Frauen nicht arbeiten mussten“, sagt Rullmann. Heute sind nur etwa 27 Prozent der Frauen im Revier berufstätig, bundesweit sind es rund 40 Prozent.

Im Argen liegt auch die Situation bei der Kinderbetreuung im Ruhrgebiet. „Es gibt einen viel höheren Bedarf als Land und Kommunen uns verkaufen wollen“, sagt Rullmann. Denn nach einer Studie des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen wünscht sich jede zweite Mutter ein Betreuungsangebot für ihr Kind, im krassen Gegensatz dazu steht die Realität: Nur zwei Prozent der Familien haben für ihre unter Dreijährigen einen Betreuuungsplatz.