Kein Ausweg

Vergeblicher Kampf gegen Dämonen: Gilla Cremers Solostück „Meeresrand“ im Thalia in der Gaußstraße

Ans Meer will sie. Denn „das Meer ist für alle da. Das Meer kann keine Enttäuschung sein“. Es wäre nur eine weitere im Leben der namenlosen Frau. Neben der Armut, den Demütigungen der Sozialamtsbeamten, die sie für eine Trinkerin halten. Und dabei gibt die allein erziehende Mutter ihr Geld nur für „ihre beiden Knirpse“ aus. Und einmal sollen sie das Meer sehen. Gilla Cremer spielt ohne Sentimentalität. Klar und geradeaus verkörpert sie eine Frau, die vor Verzweiflung Stärke zeigt. Und doch keinen Ausweg sieht und zur Kindsmörderin wird.

Eine Freundin hatte der in Hamburg lebenden Schauspielerin Gilla Cremer den Roman Meeresrand der französischen Dramatikerin Véronique Olmi geschenkt. Cremer wusste bald, dass sie das spielen musste. Seit nunmehr 18 Jahren bringt sie Solostücke wie Die Kommandeuse, Vater hat Lager oder m.e.d.e.a. zur Aufführung. Eine Einzelkämpferin ist sie in der Hamburger Meeresrand-Koproduktion mit dem Theater Bielefeld nicht. Premiere war – nach einer ersten Station in Bielefeld – jetzt auf der Foyerbühne des Thalia in der Gaußstraße; im Januar werden Vorstellungen im Lichthof Theater folgen. Regie und Bühne übernahm der Bielefelder Schauspieldirektor Michael Heicks; die Inszenierung untermalt der Cellist Patrick Cybinski.

Da steht sie allein vor einer hohen blauen Wand, dem ersehnten Meer. Ganz in braun. Nicht gerade die Farbe des Frohsinns. Nervös fährt sie sich durchs Haar. Und erzählt von den Reisevorbereitungen. Von ihren Kindern, dem fünfjährigen Kevin und dem neunjährigen Stan, „dem einzigen männlichen Wesen, das mich wirklich gut behandelt“.

Aber sie will weg von Kevins Lehrerin Marie-Helène, die immer fragt, warum er keine Turnschuhe trägt. Gilla Cremers Gesicht verzerrt sich. Die Menschen verletzen sie durch ihre bloße Gegenwart. Doch hier am Meer, so hofft sie, sitzt die Welt ihr nicht so auf der Pelle. Aber auch hier gibt es Fremde und Feinde. Das Ringen um einen Fetzen Würde wird immer auswegloser. Ihre Panikattacken lassen sich mit Chemie mühsam aufhalten. Doch den Kampf gegen die eigenen Dämonen wird sie nicht gewinnen. Gilla Cremers Spiel schwankt zwischen atemloser Stille und herzzerreißender Beschreibung der Kindstötung. Da steigert sie sich noch einmal besonders. Eine unerhört intensive und rare Solodarbietung.

Caroline Mansfeld

weitere Vorstellungen: 10., 11.1., Lichthof-Theater, Mendelssohnstraße 15