Die Frau, die Behörden den Marsch bläst

SELBSTBEHAUPTUNG Ma-Lou Bangerter lebt 29 Jahre in Berlin, bekommt aber keinen deutschen Pass. An Walpurgis bläst die Schweizerin ihre Wut schön laut in ein Alphorn

Zwölf Hornisten, vierzig Jodlerinnen, volle Pulle. „Bis die Polizei kommt“,

sagt Ma-Lou Bangerter

VON KIRSTEN KÜPPERS

Am Vorabend des 1. Mai, wenn an anderen Orten der Stadt die ersten Autos brennen, wenn sich junge Leute in Kapuzenpullovern in den Straßen für die Randale warm laufen und die ersten Pflastersteine fliegen, dann wird weit draußen, vor den Häusermeeren der Stadt, oben auf dem Hahneberg in Berlin-Spandau, eine ganz andere Form der rebellischen Selbstbehauptung zu sehen sein. Und zu hören.

Zwölf Männer und Frauen werden mit Alphörnern im Gras stehen, dazu etwa vierzig Jodlerinnen, einige von ihnen in Hexenkostüme gekleidet, immerhin ist Walpurgisnacht. Zuerst blasen die Hornisten in ihre langen Alphörner, dumpfe Töne kommen dabei heraus, ungewohnte Melodien, dann jodeln die Frauen ein paar Lieder. Sektflaschen kreisen, die Dämmerung senkt sich in die Wiesen, die Alphörner dröhnen. Und so geht es weiter mit diesem seltsamen alpenländischen Auftritt vor der Kulisse langsam aufflackernder Hochhauslichter. „Bis die Polizei kommt“, erklärt Ma-Lou Bangerter, die sich das Alphorn- und Jodeltreffen fernab der Schweizer Berge ausgedacht hat.

Ein gewisser Kampfgeist ist hier schon zu spüren. Eine Genehmigung hat Bangerter nicht besorgt.

Dazu muss man wissen, dass Bangerter, 51 Jahre alt, geboren im Berner Oberland in der Schweiz, seit 29 Jahren in Berlin lebend und als Musiklehrerin arbeitend, derzeit ziemlich schlecht auf die Berliner Behörden zu sprechen ist. Weswegen der komplizierte Prozess eines Genehmigungsverfahrens für sie auch gar nicht infrage käme. Die Sache mit den Alphörnern und den Jodlerinnen auf dem Hahneberg ist als ihre persönliche Protestaktion gegen die Bürokratie der Hauptstadt zu verstehen. „Hoffentlich schallt’s bis zur Einbürgerungsbehörde!“, warnt sie.

Wütend, total beleidigt

Der Schweizer Akzent, den die zierliche Bangerter spricht, verleiht ihren Worten zwar eine Vertrauen erweckende Gemütlichkeit, doch darf man sich nicht täuschen: In Wahrheit ist Bangerter nicht gemütlich, sondern nur „wütend und total beleidigt“, wie sie sagt.

Bangerter holt eine Flasche Weißwein, setzt sich an den Küchentisch ihrer Altbauwohnung und raucht lange, dünne Zigaretten, wenn sie erzählt, woher ihre Wut kommt. Eigentlich ist Bangerter eine heitere Person, gesellig und stets getragen von der Kraft der Musik. Aber jetzt ist es später Abend, schon fast halb elf, die Augen sind schmal, die Stimme ist rau und müde, die lockige Kurzhaarfrisur zerzaust und Bangerter mehr als kaputt von all den Geigenstunden, die sie heute gegeben hat. Und die Wut macht ihre Laune wirklich nicht besser.

Das Alphorn, ein Ungetüm

Im März 2008 hat Bangerter zusätzlich zu ihrer Schweizer Staatsbürgerschaft einen deutschen Pass beantragt. Schließlich lebt und arbeitet sie hier, beide Töchter sind hier geboren, gehen hier zur Schule. „Ich fühle mich als Berlinerin“, sagt Bangerter.

Auch die meisten ihrer Schweizer Freundinnen in Berlin haben den Antrag gestellt. Im Gegensatz zu diesen bekam Ma-Lou Bangerter allerdings keinen deutschen Pass. Nur einen Ablehnungsbescheid. Weil sie über „unzureichende Einkünfte“ verfüge, hieß es in der Begründung. Die Sachbearbeiterin riet ihr, einen Taxischein zu machen. Und da war dann der Punkt erreicht, wo Ma-Lou Bangerter der Kragen geplatzt ist! „Einen Taxischein“, ruft sie. „Das muss man sich mal vorstellen!“ Ihre Stimme klingt fast schrill.

Dabei, das hat sie ausgerechnet, „kommen pro Jahr etwa 150 Berliner Kinder in den Genuss meines sehr qualifizierten Musikunterrichts“. Das mag hochtrabend klingen, aber Bangerter hat sich tatsächlich über die Maßen engagiert.

Sie hat in den letzten Jahren eine Kooperation aufgebaut zwischen einer Grundschule und der Bezirks-Musikschule, an der sie unterrichtet. Sie hat ein Schulorchester gegründet, eine Streicherklasse ins Leben gerufen. Sie arbeitet von früh bis spät, sechzig Stunden die Woche, sie zahlt Steuern, sie hat noch nie in ihrem Leben Almosen vom deutschen Staat genommen. „Eigentlich müsste man hier eine Straße nach mir benennen.“ Sie lacht bitter.

Dann läuft sie nach nebenan ins Wohnzimmer und baut ihr Alphorn auf dem Teppich auf. Ein Ungetüm von drei Meter vierzig Länge. Ma-Lou Bangerter sieht winzig aus daneben. Sie stellt sich vor das Mundstück. Und da bekommt man eine Ahnung davon, dass es ein ganz schön lauter und verrückter Protest wird, am Donnerstag auf dem Hahneberg.