„Shadows“, das Debüt von John Cassavetes, im Metropolis
: Eine afroamerikanische Familie in New York

„Als ich Shadows sah, wurde mir bewusst, dass ich Filme machen musste“, bekannte Martin Scorsese einmal bei einer Retrospektive seiner Filme, bei der er Cassavetes‘ legendäres Debüt aus dem Jahr 1959 seinem eigenen Erstling Who‘s That Knocking At My Door an die Seite stellte. Dass die Arbeit des Regisseurs nicht nur im richtigen Einsatz von Kamera, Licht, Musik und Schnitt in Verbindung mit einem starken Drehbuch besteht, sondern dass man auch offen sein muss für Improvisation und die Ideen der Schauspieler, hatte der cinephile junge Filmstudent da mit einem Schlag verstanden. Und welcher amerikanische Regisseur verkörperte dieses Programm exemplarischer als John Cassavetes, der selbst von Haus aus Schauspieler war.

Cassavetes‘ Credo, einen Film ganz von den Figuren her zu entwickeln, dürfte bei dem über drei Jahre hinweg mit minimalem Budget entstandenen Shadows nicht nur eine Tugend, sondern vor allem eine Not gewesen sein, denn es gab kein Drehbuch. „Zu Beginn dieses Films hatten wir eine allgemeine Handlung zugrunde gelegt“, sagt Cassavetes, „die Geschichte einer afroamerikanischen Familie in New York. Innerhalb dieses Rahmens war alles erlaubt, und wir filmten alles, was den Schauspielern einfiel.“ Eine junge Frau, die mit ihren zwei Brüdern zusammenlebt – sie kann fast als Weiße durchgehen – lernt einen Weißen kennen, der sich jedoch von ihr abwendet, als er ihre „wahre“ Hautfarbe erkennt. An Douglas Sirks zur selben Zeit in sattem Technicolor gedrehtes, thematisch stark verwandtes Melodram Imitation of Life mag man dabei zunächst denken, zu dem Cassavetes‘ in Schwarzweiß auf 16mm gedrehte Etüde jedoch den größtmöglichen Kontrast bildet.

Einen direkten Kontakt zwischen dem Publikum und den Personen auf der Leinwand herzustellen, bei dem der Zuschauer sich nicht durch technische Virtuosität, sondern durch die Personen angesprochen fühlt, das war das große Ziel, dem Cassavetes hier, wie später bei seinen Arbeiten mit seiner Ehefrau Gena Rowlands, bemerkenswert nahe kam.

Als Vorbote und Musterexemplar des New American Cinema, welches sich von dem als „moralisch korrupt, ästhetisch überholt, thematisch oberflächlich und temperamentlos“ empfundenen Hollywood-Kino radikal abgrenzte, kam Shadows bei Publikum und Kritik zunächst in Europa sehr viel besser an als in den USA. Dort gab es zudem eine von Jonas Mekas, dem Spriritus Rector des New American Cinema initiierte Debatte um die beiden verschiedenen Fassungen von Shadows. Mekas, der den endgültigen Film schon als zu nah an Hollywood ansah, bevorzugte eine erste, für Cassavetes unbefriedigende und deshalb verworfene Fassung. Diese erste, lange als verschollen geglaubte Fassung ist vor zwei Jahren bei einer Versteigerung des Fundbüros der New Yorker U-Bahn wieder aufgetaucht und beim letzten Rotterdamer Filmfestival auch gezeigt worden. Dass sie von den Rechteinhaber jetzt jedoch gesperrt ist, muss vielleicht nicht allzusehr schmerzen, hält doch Jonas Mekas selbst inzwischen die bekannte zweite Fassung für die gelungenere. Eckhard Haschen

Fr, 21.15 Uhr, Sa, 17 Uhr + So, 21.45 Uhr, Metropolis