1. Mai Verschlafen die Gewerkschaften die Krise?
Ja!

KAMPFTAG Der Tag der Arbeit steht bevor – mitten in der Krise. Der große Tag der Gewerkschaften?

Klaus Werner-Lobo ist Protagonist einer alternativen Globalisierung

Falsche Frage. Die Bosse der Genossen haben die Krise nicht verschlafen, sondern mitverursacht. Bis auf wenige Ausnahmen auf EU-Ebene haben sie die Globalisierung und die Nachhaltigkeitsdebatte der letzten Jahrzehnte verpennt: Statt multinationalen Konzerninteressen mit internationaler Solidarität zu begegnen, stilisierten nationale Gewerkschaftsverbände polnische und indische Billigarbeitskräfte zur Bedrohung hoch und trieben gemeinsam mit den Nationalregierungen den Standortwettbewerb voran. Statt Seite an Seite mit den global agierenden Sozial- und Umweltorganisationen von Attac über Greenpeace bis zu Antirassismus-, Frauen- und No-Border-Bewegungen globale, soziale und ökologische Strategien gegen die neoliberalen Globalisierer von WTO bis Währungsfonds zu entwickeln, setzen sie auf Klientelpolitik und Verschrottungsprämie. Aufwachen und den Kapitalismus verschrotten!

Lucy Redler ist Politikerin der Sozialistischen Alternative (SAV)

Verschlafen wurde die Krise von der Gewerkschaftsführung. Während tausende Mitglieder am 28. 3. demonstrierten, setzt die DGB-Führung auf Zugeständnisse an die Arbeitgeber statt auf Gegenwehr. Bereits jetzt drohen Massenentlassungen. Die tiefste Krise seit Jahrzehnten haben jedoch nicht die Beschäftigten verursacht. Die Ursache liegt im Profitsystem Kapitalismus selbst begründet. Während in Frankreich Generalstreiks stattfinden, ist die Bewegung hier noch am Anfang. Für den 16. Mai mobilisiert der DGB zu einer Großdemo nach Berlin. Diese Demo darf nicht den Anfang vom Ende einläuten. Der nächste Schritt muss ein eintägiger Generalstreik sein.

Oswald Metzger ist CDU-Mitglied und Ex-Grüner

Wer sich die letzte Tarifrunde von Ver.di und IG Metall in Erinnerung ruft, versteht sofort, warum ich die Frage bejahe. Acht Prozent Lohnerhöhung in die schwerste Rezession hinein zu verlangen, war schlicht ignorant, vor allem im öffentlichen Dienst mit seiner Arbeitsplatzsicherheit. Bereits seit Februar 2008 ließ in Deutschland die Beschäftigungsdynamik nach, wiesen die konjunkturellen Frühindikatoren auf eine bevorstehende Rezession hin. Wer sehen wollte, konnte sehen – auch vor der Lehman-Pleite im September 2008. Doch die Gewerkschaften müssen in der aktuellen Weltrezession auch einen Grundirrtum korrigieren: Dass Deutschland viele Jahre Exportweltmeister war, kann nicht länger als Beleg dafür herhalten, dass die hohen Bruttoarbeitskosten volkswirtschaftlich verkraftbar sind. Jetzt, beim teilweise dramatischen Ausfall der Auslandsnachfrage, wird sichtbar, was hinter dem Unwort „Entlassungsproduktivität“ steckt. Weil wir den Faktor Arbeit als Finanzierungsquelle überstrapazieren, zahlen wir einen hohen Preis für unseren nach wie vor großzügigen Sozialstaat.

Monty Schädel ist Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft

Leider ja! Wenn sich Gewerkschaften, wie in den vergangenen Jahren zunehmend, allein auf die Sicherung von Arbeitsplätzen konzentrieren – und das um jeden Preis –, vergessen sie darüber, dass zu den Kernthemen gewerkschaftlicher Arbeit nicht nur die betriebliche Solidarität und der Schutz deutscher Arbeitsplätze gehören. Sie haben auf diese Weise ihre Funktion als gesellschaftlich eingreifende und gestaltende Kraft verloren – und spielen schon jetzt meist nur noch eine Nebenrolle in den sozialen Bewegungen. Wer so mit dem Strom schwimmt, läuft eben Gefahr, über die Freude, voranzukommen, das Paddeln zu vergessen. Um an der Oberfläche zu bleiben, muss man auch paddeln. Gegen den Strom zu schwimmen ist natürlich im Vergleich meist etwas anstrengender und langwieriger, funktioniert aber sehr gut: weil man nämlich automatisch zu den helfenden Händen der Verbündeten greift.

Nein!

Frank Bsirske ist Vorsitzender der Gewerkschaft Ver.di

Wer behauptet, die Geschwindigkeit, das Ausmaß und die zerstörende Dynamik der Weltwirtschaftskrise vorhergesehen zu haben, der ist entweder Hellseher oder er lügt. Ignorant ist, wer so tut, als habe es unsere Kritik an der Entfesselung der Finanzmärkte, der gnadenlosen Konkurrenz und dem wachsenden Ungleichgewicht auf den Weltmärkten nicht gegeben. Es sind Gewerkschaften, die nicht seit gestern vor Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Aufgaben, dem Lohn- und Sozialdumping im EU-Binnenmarkt und dem Abbau des Sozialstaates in Deutschland warnen. Im Halbschlaf befinden sich diejenigen, die glauben, mit ein paar Absichtserklärungen sei der Raubtierkapitalismus zu bändigen – oder abwarten und glauben, völlig unterdimensionierte Konjunkturpakete könnten den weiteren Abschwung bremsen. Ihnen werden die Gewerkschaften eine Melodie vorspielen, die sie endgültig aus ihren Träumen reißt.

Sven Giegold möchte für die Grünen in das Europaparlament

Besserwisserische Gewerkschaftskritik nervt. Die Liste der Vorhaltungen an die Gewerkschaften ist traditionsgemäß lang: nationale Borniertheit, Verteidigung schmutziger Arbeitsplätze in der Chemie-, Auto- oder Rüstungsindustrie, behäbige Funktionäre, mangelnde Protestbereitschaft usw. Nun sollen sie auch noch die Wirtschaftskrise verschlafen haben. Was die meisten KritikerInnen jedoch übersehen: Es sind nicht so sehr „die Gewerkschaften“ als Organisation, die verantwortlich für die Defizite sind. Vielmehr sind es die Haltungen der meisten Gewerkschaftsmitglieder, denen nach sozialer Bewegung wenig zumute ist. Gewerkschaften können und sollten mehr tun als heute, oberlehrerhafte Kritik ist aber fehl am Platze. Umso erfreulicher ist, dass der Europäische Gewerkschaftsbund seinen politischen Kurs in den letzten Monaten deutlich verändert hat. Die Mitgliedsgewerkschaften nehmen die wirtschaftsliberale Seite der EU nicht mehr länger hin und protestieren am 14.–16. Mai europaweit, auch für ökologische Investitionen. Weiter so!

Daniel Koster studiert an der Universität des Saarlands. Er hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt Ich bin Gewerkschaftsmitglied, und das bewusst. Den Tag der Arbeit begehen der Deutsche Gewerkschaftsbund, der DGB, und die Gewerkschaften unter seinem Dach jedes Jahr mit einem Motto, so auch in diesem Jahr: „Arbeit bei fairem Lohn für alle“. Das bedeutet Arbeit für alle und fairer Lohn für alle. Die aktuelle Krise rührt in Deutschland vor allem daher, dass die deutsche Wirtschaft wesentlich auf dem Export beruht(e). Die Gewerkschaften fordern indes bereits seit Jahren, die Binnennachfrage zu stärken, zum Beispiel durch die Einführung eines allgemeinem Mindestlohns. Aber das Volk hört lieber auf Parolen wie „Sozial ist, was Arbeit schafft“ (Beschluss der CDU/CSU von 2003). Das Volk bekommt entsprechend die Regierung, die es sich verdient. Die Frage ist also: Wer schläft da eigentlich genau? Und auf die Gewerkschaften bezogen: Aus wem genau bestehen eigentlich Gewerkschaften?

Uwe Hück ist Konzernbetriebsratsvorsitzender der Porsche AG

Wir liegen nicht im Bett – im Gegenteil, wir sind hellwach. Wenn das Haus brennt, muss man erst mal löschen, bevor man nach den Brandstiftern sucht. Wir waren es nicht, die Arbeitgeber übrigens auch nicht. Was wir jetzt brauchen, ist z.B. die Verlängerung der Kurzarbeit von 18 auf 24 Monate und Qualifizierung für die Zukunft, damit wir die Facharbeiter auch während der Krise und über die Krise hinaus in den Betrieben halten können. Wir sind eine Soziallobby, und das bedeutet, dass wir Arbeitsplätze retten müssen. Und die Ansage an die Politik lautet: ihr müsst uns unterstützen. Eigentlich müssen alle mitmachen, denn es geht um nichts weniger als den sozialen Frieden in Deutschland.