Der Stabilitätspakt wird wiederbelebt

Er ist nicht tot und muss nur ordentlich reformiert werden. EU-Währungskommissar Solbes schlägt vor: Die EU-Länder sollen ihre Wirtschaftspolitik enger koordinieren. Auch soll künftig „mehr Flexibilität“ möglich sein, um Wachstum nicht abzuwürgen

AUS BRÜSSEL KARL DOELEKE

Die Europäische Kommission arbeitet an einer grundlegenden Reform des Stabilitätspaktes. Kommissionspräsident Romano Prodi teilte den Plan am Mittwochabend überraschend vor dem Europäischen Parlament mit. Eine Woche zuvor war Währungskommissar Pedro Solbes mit seinen Forderungen nach mehr Haushaltsdisziplin in Deutschland und Frankreich im Finanzministerrat gescheitert.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte sich gegen Solbes’ Forderungen mit dem Argument gewehrt, mehr Sparen bremse das gerade wieder aufkeimende Wirtschaftswachstum. Haushalts- und Wachstumspolitik in der Union müssen darum nach Prodis Vorstellung besser aufeinander abgestimmt werden. Dies könne helfen, die öffentlichen Finanzen langfristig zu sichern. Der Pakt solle, so die Überlegungen der Kommission, an den Zielen des Lissabon-Prozesses ausgerichtet werden, wonach Europa bis 2010 der wettbewerbfähigste Wirtschaftsraum der Welt werden soll.

Wie die Novelle im Detail aussehen wird, steht noch nicht fest. Eine stärkere Kontrolle der Kommission über die Mitgliedstaaten ist aber wahrscheinlich. Prodi sagte, ohne ins Detail zu gehen, es reiche nicht aus, am Pakt „herumzuflicken“. Währungskommissar Solbes stimmte dem zu und forderte ebenfalls im Parlament, dass die umfassende Reform des Stabilitätspaktes eine „striktere Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten und mehr Flexibilität mit einer besseren Einhaltung der Regeln kombinieren muss.“

Die Sparverpflichtung der Euroländer ist im EU-Vertrag und zwei begleitenden Verordnungen der Union festgeschrieben. Die Kommission, der das Initiativrecht in der europäischen Gesetzgebung zusteht, reagiert mit dem Vorschlag auf Forderungen aus Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich. Diese Länder plädieren für eine Überarbeitung des Stabilitätspakts, der aus dem Jahr 1997 stammt und dessen Kriterien damals recht willkürlich festgelegt wurden.

Den Mitgliedstaaten eröffnet die Initiative nun die Möglichkeit, den ungeliebten Stabilitätspakt zu reformieren. Den Plan der Kommission vorzulegen dürfte Prodi eine Herzensangelegenheit gewesen sein. Der italienische Wirtschaftsprofessor hatte im letzten Jahr die strikte Defizitverpflichtung der Euro-Finanzminster als „dumm“ bezeichnet. Vorgestern Abend erläuterte der Italiener, was er mit seiner stark kritisierten Anmerkung zum Pakt gemeint hatte. Er habe, so Prodi, mit seinen bekannten Worten sagen wollen, dass der Pakt „ein intelligenteres Instrument zur besseren Koordinierung der Haushaltspolitiken auf der EU-Ebene werden kann“.

Seit letzter Woche glaubt niemand mehr, dass der Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form noch „nach Geist und Buchstaben des Vertrages“ angewendet wird. Bis zum Streit um das Defizit in Deutschland und Frankreich hatten sowohl die Finanzminister als auch die Kommission eine Veränderung des Stabilitätspaktes stets abgelehnt.