Industrie fördern gegen Armut

UN-Konferenz: Wie kann industrielle Entwicklung helfen, die Armut zu halbieren?

WIEN taz ■ „Wir brauchen erst einmal Hilfe, dass wir Mechanismen für den Aufbau kleiner und mittlerer Betriebe entwickeln können. Wir haben keine Märkte, wir haben keine Produktion, wir sind das ärmste Land der Welt.“ Xanana Gusmao aus der Republik Osttimor ist nicht nur Präsident des ärmsten, sondern auch des jüngsten Landes der Welt. Auf der Generalkonferenz der Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung (Unido), die heute in Wien zu Ende geht, unterzeichnete er ein Abkommen, das den Gedanken der Privatwirtschaft in seinem Land heimisch machen soll.

Osttimor, das nach dreihundert Jahren portugiesischer Kolonialherrschaft und einem Vierteljahrhundert indonesischer Okkupation erst vor vier Jahren seine Unabhängigkeit erlangte, laboriert noch an den Folgen der Massaker, mit denen indonesische Milizen die Loslösung der Provinz zu verhindern suchten. Industrielle Entwicklung, wie sie die Unido auf ihre Fahnen geschrieben hat, liegt hier noch in weiter Ferne. Aber auch in den so genannten am wenigsten entwickelten Ländern, den LDC, wie sie im Jargon der internationalen Organisationen heißen, kann von Industrie nach unserem Verständnis keine Rede sein.

Das Zentralthema der diesjährigen Tagung war die Rolle, die die Unido bei der Verwirklichung der „Millenniumsziele“ spielen kann, also jenen Entwicklungszielen, auf die sich die Vereinten Nationen beim Millenniumsgipfel im Jahr 2000 einigten. Dafür sei es, so Unido-Generaldirektor Carlos Magariños, nötig, das bisherige Tempo gehörig zu erhöhen. Denn jüngste Zahlen der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zeigen, dass allein die für 2015 ins Auge gefasste Halbierung der Anzahl der Hungernden eine Verzwölffachung der bisherigen Leistungen erfordern würde. Nach bescheidenen Erfolgen zu Beginn der 90er-Jahre breitet sich der Hunger weltweit sogar wieder aus.

Wollten die 30 afrikanischen Länder südlich der Sahara die Millenniumsziele erreichen, müssten sie ein stabiles Wachstum ihres Bruttosozialprodukts pro Kopf von zwei bis sechs Prozent erreichen. Der jüngste Bericht über die menschliche Entwicklung zeigt, dass diese Länder beim gegenwärtigen Rhythmus erst im Jahre 2129 Grundschulbildung für alle garantieren können, 2147 würde die extreme Armut halbiert und erst in 162 Jahren könnte die Kindersterblichkeit um zwei Drittel reduziert werden.

Der Unido ist es nicht entgangen, dass die Strukturanpassungsprogramme, die den ärmsten Ländern als Voraussetzung für teilweise Entschuldung verpasst werden, zur weiteren Verschlechterung der sozialen Bilanz beitragen. Deswegen plädiert Magariños dafür, die bisherige Politik zu überdenken. Er fordert die Verknüpfung der politischen und wirtschaftlichen Reformvorhaben mit der wirtschaftlichen und sozialen Agenda. Auch die seit dem Brundtland-Bericht 1987 eingeforderte Nachhaltigkeit soll künftig bei der industriellen Entwicklung berücksichtigt werden. Die möglichen Auswirkungen der industriellen Revolution auf die Umwelt in den Entwicklungsländern waren Thema einer Diskussionsrunde.

Die Unido wird vor allem von den asiatischen und afrikanischen Regierungen als wichtiger Partner betrachtet. 72 Prozent der Mittel für die technische Zusammenarbeit fließen in diese Kontinente. Dieser Bedeutung wurde durch die Teilnahme mehrerer Präsidenten Rechnung getragen, darunter Yoweri Museveni aus Uganda und Marc Ravalomanana aus Madagaskar.

RALF LEONHARD