Es begann mit einem Flugblatt

Günther Oettinger gegen Annette Schavan – die Suche nach dem oder der MinisterpräsidentIn Baden-Württembergs hat ihre gottgegebene Rollenverteilung gefunden: Der Mann bespricht schwäbische Industriepolitik, die Frau soll ihren Sex preisgeben

VON CHRISTIAN FÜLLER
UND THILO KNOTT

Michael Reiss hat einen frommen Wunsch. „Wir wollen ‚das Thema‘ so schnell wie möglich wieder aus der Diskussion um den künftigen Ministerpräsidenten heraushaben.“ Das Thema freilich, das selbst der Landeschef der „Lesben und Schwulen in der CDU“ so kunstvoll umkurvt, überlagert spätestens seit gestern die Kandidatenkür im Südwesten: Welcher Sex steht der Villa Reizenstein bevor, dem Amtssitz des oder der MinisterpräsidentIn im Ländle?

„Wer streut diese üblen Lesben-Gerüchte über CDU-Ministerin Schavan?“, fragte die Bild mit gespielter Empörung. Und breitete doch genüsslich aus, wie sich nun endlich die Angeklagte selbst gezwungen sah zu reden: Annette Schavan (CDU), Kultusministerin und die erste Unions-Frau, die so frech ist, Ministerpräsidentin werden zu wollen. Sie dementierte, so eine Nachrichtenagentur, „aufgebracht immer wieder auftauchende Gerüchte, sie sei lesbisch“.

Das mit der Ministerpräsidentschaft – anzutreten nach Erwin Teufels Abgang im April kommenden Jahres – ist nicht wahrscheinlicher geworden. Während der Konkurrent und Mann, CDU-Fraktionschef Günther Oettinger, fleißig Interviews zur schwäbischen Industriepolitik gibt, steht die Frau am Pranger. Annette Schavan soll Details ihrer Sexualität preisgeben – aber, bitte schön, aufrichtig und cool. In den Homokreisen der Landeshauptstadt („50.000 Schwule und Lesben“, wirbt eine Homepage für das homosexuelle Stuttgart) weiß jeder, wem das Thema zupass kommt: „Natürlich schadet es Frau Schavan.“

Die „Enthüllung“ kam, wie in diesen Fällen üblich, im Schneeballsystem zustande. Die angebliche Homosexualität Schavans, seit Monaten Tuschelthema am Neckar, kam als zitierte Vermutung bei der Regionalkonferenz in Schwäbisch Gmünd aufs Tapet. Ein Flugblatt, verteilt vor der Halle, rumorte von „neuesten Gerüchten über angebliche gleichgeschlechtliche Beziehungen der Annette Schavan“. Das Pamphlet wurde sofort eingesammelt. Aber Walter Weidmann, Gastronom aus Stuttgart („Wasenwirt“), weiß, wieso er es verteilte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Baden-Württemberg von einer lesbischen Ministerpräsidentin regiert wird“, sagt der 77-Jährige der taz.

Das CDU-Mitglied will das Flugblatt selbst gar nicht verfasst haben. Er habe es „anonym bekommen“, erzählt Weidmann. Unbekannte hätten es unter seiner Haustüre durchgeschoben. „Die müssten selbst furchtbare Angst gehabt haben.“ Weidmann hatte sie nicht. „Ich habe das Flugblatt kopieren und verteilen lassen.“ Das Motiv ist klar. Er stünde Oettinger nahe, jenem Mann also, für den das Flugblatt mit Foto und Laudatio warb.

CDU-Fraktionschef Oettinger selbst hat sich gestern von der Lesben-Masche distanziert. „Solche Fragen, die in die Privatsphäre gehen, sind abwegig“, erklärte er. Und im Oettinger-Lager heißt es, Leute wie der Gastronom Weidmann seien nicht ernst zu nehmen: „Gegen solche Fans können wir uns nicht wehren.“

Oettinger weiß aber auch, welche Karte er spielen muss, um eine vermeintliche Lesbe auszustechen. Vor der Jungen Union erläuterte er, wie gottgegeben Heterosexualität ist. Kinder zu haben, sagte Oettinger, „ist ein Teil der Schöpfung und die Logik des Lebens überhaupt.“

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