Zuerst wehrten sich die Studenten

LVIV taz ■ „Wir halten zusammen, wir sind viele, man kann uns nicht besiegen.“ Diese Worte hört man dieser Tage überall auf den Straßen in der Ukraine. Die Mitglieder der Studentenorganisation „Pora“ waren unter den ersten, die mutig gegen das Regime zusammengehalten haben. Zur Initialzündung für die Gründung von Pora im April dieses Jahres wurden die Ereignisse in der kleinen westukrainischen Stadt Mukatschewo in Transkarpatien. Dort kam es im Frühjahr bei den Bürgermeisterwahlen zu massiven Manipulationen. Wahllokale wurden zertrümmert, Wähler eingeschüchtert und Protokolle gefälscht. „Wir wollten etwas dagegen unternehmen“, erinnert sich Anastasia, die Pressesprecherin von „Pora“. „Eine weitere Aufgabe sahen wir aber auch darin, die Bürger über ihr Recht, frei und demokratisch zu wählen, aufzuklären.“

Möglicherweise haben die Behörden zu spät erkannt, wie gefährlich die friedlichen Protestaktionen werden können. Als kurz vor der ersten Runde der Präsidentenwahlen am 31. Oktober gegen „Pora“-Mitglieder Repressalien begannen, sorgte dies nicht nur für Empörung in einer noch relativ passiven Gesellschaft, sondern auch für einen grossen Zulauf neuer Mitglieder. Als Terroristen wurden sie von den Behörden bezeichnet, ihnen wurde Sprengstoff untergeschoben – wie zu Dissidentenzeiten in der Sowjetunion.

Doch es nützte alles nichts. Nachdem die Polizei im Oktober im Büro der Studentenverbindung in Lviv (Lemberg) angeblich fündig geworden war und nach einer offensichtlich manipulierten Durchsuchung Handgranten präsentierte – freilich ohne Fingerabdrücke – war es soweit. Die Studenten fingen mit dem Bau einer symbolischen Barrikade an. Hunderte neue Mitglieder traten „Pora“ bei. „Wir wollten nicht, dass man uns das Recht nimmt, zu wählen. Und wir mussten verhindern, dass unsere Freunde, die sich an friedlichen Protestaktionen beteiligen, von der Polizei verfolgt und aus den Unis rausgeschmissen werden“, erinnert sich Jaryna. Erst vor wenigen Monaten ist sie 19 geworden, eine typische Stundentin, eingeschrieben im dritten Semester an der Fakultät für internationale Beziehungen der Lemberger Universität. Sie ist schlank und klein und trägt ein schwarz-gelbes Stirnband.

Pora bedeutet auf deutsch „es wird Zeit“. Und wirklich: Es ist höchste Zeit, um die grundlegenden demokratischen Rechte in der Ukraine zu verteidigen. Heute sieht man die gelben Banner mit der schwarzen Aufschrift „Pora“ in den ersten Reihen der Demonstranten – neben den orangenen Juschtschenko-Bannern und den blau-gelben ukrainischen Flaggen.

Die „Pora“-Mitglieder, die ihre geistigen Väter in der serbischen Jugendbewegung „Otpor“ und deren georgischem Pendant „Khmara“ sehen, wurden in den vergangenen Monaten oft als Hitzköpfe bezeichnet. Nicht selten wurde ihnen vorgeworfen, dass ihre Aktionen nicht gut genug mit der Opposition koordiniert seien und manchmal sogar agressiv wirkten. Heute ist unumstritten, dass die Studenten mit ihren Aktionen viel zum Aufbruch in der ukrainischen Gesellschaft beigetragen haben. Ein Zeltlager haben sie im Kiewer Stadtteil Podil bereits vor mehreren Wochen aufgebaut – heute stehen ihre Zelte auf der Hauptstraße von Kiew – dem Chrestschatik. „Wir werden hier bis zum Sieg ausharren, die Kälte ist für uns kein Problem“, sagt ein Pora-Mitglied. Man hat keinen Grund, es ihm nicht zu glauben. JURI DURKOT