Poltergeist, Klosterschüler, Strippenzieher

SPD-Fraktionsvize Stiegler soll Landeschef in Bayern werden. Manche Genossen fürchten den Mann im roten Pullover

„Kastrierte Kater“, „geistige Brandstifter“, „Fleisch gewordene Aktendeckel“: Wenn es gilt, den politischen Gegner in der CDU und vor allem in der CSU anzugreifen, dann war Ludwig Stiegler noch nie um einen derben Spruch verlegen. Vielleicht ist es ja seine Angriffslust, die den 59-Jährigen als künftigen Landesvorsitzenden der bayerischen SPD prädestiniert. Sein glückloser Vorgänger Wolfgang Hoderlein, der nach der katastrophalen Wahlniederlage im September aufgab, hatte nie wirklich gegen den übermächtigen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber punkten können.

Das könnte sich unter Stiegler ändern, der an diesem Wochenende von der Führungsspitze der Bayern-SPD als einziger Kandidat für den Parteivorsitz vorgeschlagen werden soll. Der gewichtige Oberpfälzer weiß im Gegensatz zu anderen leidgeprüften SPD-Funktionsträgern in Bayern sogar, wie man aus ungünstiger Lage heraus gewinnt: In der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs 2002 übernahm er den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion und eroberte sich mit seiner kantigen Rhetorik bald den nötigen Respekt.

Den politischen Poltergeist gibt Stiegler aber nur in der Öffentlichkeit, wo er auch gern seinen Spleen inszeniert, stets mit einem roten Pullover aufzutreten. „Von denen habe ich mehr als vierzig im Schrank“, verriet er einmal dem Spiegel.

Hinter den Kulissen aber gilt Stiegler als belesener Feingeist und arbeitswütiger Strippenzieher, der über taktisches Geschick, das nötige intrigante Potenzial und mindestens das Latinum verfügt. „Ad sum“ – frei übersetzt: „Ich bin bereit“ – soll der einstige Klosterschüler Stiegler geantwortet haben, als ihn Peter Struck im Sommer 2002 telefonisch fragte, ob er sein Nachfolger als Fraktionsvorsitzender werden wolle.

Ich bin bereit, das hat Stiegler nun anscheinend auch seiner Heimatpartei signalisiert. Der Fraktionschef im bayerischen Landtag, Franz Maget, hatte sich zuvor partout nicht überreden lassen, auch den Landesvorsitz zu übernehmen.

Stiegler weiß, dass er einen der undankbarsten Jobs antreten soll, den die Sozialdemokraten zu vergeben haben. Die Bayern-SPD steckt in einer tiefen Strukturkrise, dazu kommen die regionalen Rivalitäten und erheblichen politischen Differenzen zwischen Basis und Spitze. Möglicherweise ist der volksnah wirkende Stiegler, der als Linker gilt, aber schon mal „Arbeitszwang“ für Arbeitslose fordert, der richtige Mann für den Ausgleich zwischen den Lagern. Allerdings erinnern sich viele Genossen misstrauisch daran, dass Stiegler bei Konflikten die SPD-Landesgruppe im Bundestag allzu oft gegen Hoderlein und die Bayern-SPD mobilisiert hat.

Stiegler könnte in den kommenden Jahren sein Geheimrezept bitter nötig haben. In aller Frühe, so erzählte er einmal, zündet er sich eine dicke Zigarre an. Dazu trinkt er einen Liter grünen Tee: „Dann gehe ich ab wie ein Turbo.“ JÖRG SCHALLENBERG