Anschlag überschattet Putins Wahlsieg

Mindestens 37 Tote bei einem Terroranschlag auf einen morgendlichen Pendlerzug in Russland. Bekannt hat sich niemand, die Ermittler tippen – wie immer – auf tschetschenische Täterinnen. Ob ein Zusammenhang zur Parlamentswahl besteht, ist unklar

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Bei einem Terroranschlag auf einen Nahverkehrszug in Südrussland in der Nähe der Kleinstadt Essentuki sind gestern mindestens 37 Menschen ums Leben gekommen, über 100 erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Der Anschlag auf den Pendlerzug 6309 zwischen den Kurorten Kislowodsk und Mineralnie Wody, traf vor allem Reisende, die am frühen Morgen auf dem Weg zur Arbeit waren. Die Explosion hatte die Stärke von rund 10 Kilogramm TNT und riss den Waggon in zwei Teile. Mehrere Opfer mussten mit Schweißbrennern von der Feuerwehr aus den Waggontrümmern befreit werden, für die meisten kam indes jede Hilfe zu spät.

Es ist der zweite Anschlag auf einen Nahverkehrszug im russischen Süden in den letzten drei Monaten. Erst im September waren fünf Menschen durch die Explosion einer Bombe umgekommen, 40 wurden damals mit schweren Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert. Und im Januar explodierte in der Nähe von Kisljar ein voller Tankwaggon, Menschen kamen dabei nicht zu Schaden.

Für den Anschlag in Essentuki gestern sollen zwei Selbstmordattentäterinnen verantwortlich sein, behaupteten Ermittler vor Ort. Bei den Fragmenten einer Leiche seien Reste eines Sprenggürtels und eine Tasche mit Handgranaten gefunden worden, die an Ort und Stelle noch entschärft werden mussten. Die Strafverfolgungsbehörden gehen – wie in solchen Fällen inzwischen üblich – von einer „tschetschenischen Spur“ aus. Die Anschlagsorte liegen im Kreis Stawropol, das an die vom Krieg zerrüttete Republik Tschetschenien grenzt.

Sobald der Hinweis auf einen Sprenggürtel als Tatwaffe fällt, können nach Lesart russischer Ermittler nur tschetschenische Täterinnen dahinter stecken. Sogenannte „schwarzen Witwen“, die erstmals bei der Geiselnahme im Moskauer Nordost-Musical-Theater im Oktober vorigen Jahres auf sich aufmerksam machten. Sie trugen damals um den Bauch gebundene Sprenggürtel, die sie aber auch in auswegloser Situation nicht zündeten. Schwarze Witwen sind meist Frauen, die im Krieg ihre engsten Angehörigen verloren haben.

Gewöhnlich laufen die Ermittlungen der Behörden nach solchen blutigen Terrorakten ins Leere. Die Polizei und die mit quasipolizeilicher Macht ausgestatteten Kosaken im Süden Russlands nehmen derartige Ereignisse gern zum Anlass, gegen nichtslawische und nicht russisch-orthodoxe Minderheiten vorzugehen. Nicht selten kommt es danach zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Dunkelfarbige.

Nach dem Anschlag im September verlangten die Politiker wie immer verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Abgesehen davon, dass eine flächendeckende Überwachung des Eisenbahnnetzes sowie der Bahnhöfe aufwendig, kostspielig und technisch wohl auch kaum durchführbar wäre, nehmen die Ordnungshüter im Süden Russlands ihre Pflichten indes auch nicht gerade übermäßig ernst.

Das Datum des Terroraktes, zwei Tage vor den Dumawahlen, mag mit Bedacht gewählt worden sein, muss es aber nicht. Dennoch ruft das Ereignis dem russischen Wähler ins Gedächtnis zurück, dass der Kreml im Süden einen Krieg gegen die eigenen Bürger führt. Die Stabilität Russlands, ein Verdienst, das der Kreml für sich reklamiert, wird immer aufs Neue infrage gestellt. Vor allem ist es ein Schlag für Innenminister Boris Gryslow am Vorabend der Wahlen. Oberpolizist und Präsidenten-Intimus Gryslow sitzt nämlich auch der Kremlpartei „Jedinnaja Rossija“ vor, die sich als sichere Wahlsiegerin wähnt.