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Kuscheln erlaubt

Die akustisch entschärften Mainstream-Rocker „Fury in the Slaughterhouse“ geben ein Nichtraucher-Konzert im Rolf-Liebermann-Studio des NDR. Rolf- was?, fragen die Fans. Ein Erlebnisbericht

von Maren Albertsen

Der Pförtner des NDR ahnt, was auf ihn zukommt. Er kennt die Antwort schon, bevor ihn das dick eingepackte Pärchen – ganz lieb Hand in Hand – überhaupt gefragt hat. Wie oft hat er heute Abend wohl bereits gesagt: „An der nächsten Kreuzung müssen Sie rechts, und dann ist es nach ein paar Metern auf der rechten Seite“? Er lächelt müde. Vielleicht fragt er sich, warum das Akustik-Konzert von Fury in the Slaughterhouse ausgerechnet im Rolf- Liebermann-Studio sein muss.

Im Rolf- was? Genau. Das fragen sich die meisten Besucher auch, während sie brav der Wegbeschreibung folgen. Das Studio selbst sieht von außen so einladend aus wie ein grauer Betonklotz, eine hebräische Inschrift lässt im Inneren zuerst eine Synagoge vermuten. Auf der anderen Straßenseite reihen sich wie zum Hohn die Häuser der Reichen und Schönen aneinander. Die Fury-Fans interessiert das wenig, sie freuen sich auf den Unplugged-Auftritt ihrer Lieblinge und wollen rein. Überwiegend Pärchen im mittleren Alter – sie mit rot gefrorener Nase und schicken Stiefeln, er mit Wetterjacke und sportlichen Schuhen – sammeln sich am Eingang, jüngere Gesichter sieht man seltener. Eine gewisse Beate und ihre Freundin haben Glück: Sie können noch kurz vor Einlass zwei Karten von einer verschnupften Frau mit Pferdeschwanz ergattern. „Ich muss die Tickets leider verkaufen, weil ich krank bin.“ „Oh, wie lieb von dir!“

In der Halle sind Zigaretten verboten, so nutzen die Nikotinsüchtigen den Vorraum und qualmen, bis der Rauch wie dichter Nebel in der Luft hängt. Bei Brezeln und Bier wird in Kleingruppen über frühere Fury-Konzerte geredet, alles sehr unaufgeregt, alles sehr entspannt. Kreischende Teenies, zu stark geschminkte Frauen, Männer mit Punkfrisuren? Fehlanzeige.

Heute regiert der Durchschnitt, auch wenn das Ambiente gewiss nicht dazu beiträgt. Das Studio hat mit seiner Sitzaufteilung den Charme eines sterilen Hörsaals, auch die Band ist davon nicht wirklich angetan. Nachdem sie Punkt 21 Uhr mit einer a cappella Version von „Born to slide away“ angefangen hat, heißt es deshalb zur Begrüßung trocken: „Also, wie ihr da oben sitzt – das sieht echt ganz schön scheiße aus!“ Stimmt.

Doch für die Besucher hat das Ganze auch Vorteile. Schließlich haben sie einen guten Blick auf die sechs scheinbar unermüdlich auf Tour gehenden und Platten produzierenden Jungs aus Hannover. Und dieses Konzert ist in der langen Karriere von Fury etwas Besonderes. Nicht nur wegen der Arrangements – bei „Time to wonder“ wird Sänger Kai nur von Klavier und Bass begleitet, bei „Nada es“ kommen hingegen sogar Saxophone zum Einsatz – sondern auch wegen der guten Stimmung.

„Wir sind zwar akustisch, aber nicht wehrlos“, lautet das Motto für den Abend. Insbesondere Pianist Gero erweist sich dabei als spontaner Entertainer, der als „Hochschuldozent“ fleißige Mitarbeit von seinen „Seminarteilnehmern“ fordert: „Schön mitschreiben, wir prüfen das nachher!“ Das Paar eine Reihe weiter – beide stilsicher schon im aktuellen grauen Tour-Shirt – amüsiert sich sichtlich, bei den ruhigeren Liedern zwischendurch darf es dann wieder kuscheln.

Kerzen anzünden geht allerdings nicht. Sorry, verboten. Und immer dran denken: Das Konzert wird fürs Radio mitgeschnitten! Also keinen Blödsinn machen! Die Sorge ist bei Fury-Fans natürlich unbegründet. Nach ganzen zweieinhalb Stunden und insgesamt sieben Zugaben – wobei das Publikum bei „Won‘t forget these days“ auch selbst zum Einsatz kommt – ist endgültig Schluss. „Tja, ich schätze, heute hielten sich Wort- und Musikbeiträge die Waage“, resümiert Kai. Und Gero fragt noch mal nach: „Habt ihr auch was gelernt?“

Dazugelernt oder nur konsumiert, das Seminar verlässt zufrieden den Hörsaal. Am glücklichsten ist Gitarrist Christof: „So,“ verkündet er, „jetzt kann ich endlich eine rauchen gehen!“

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