Der allerletzte Event

Immer mehr Menschen wünschen sich eine individuellere Bestattung. Die evangelischen Akademie lässt nun über neue und alte Bestattungskulturen debattieren – vom Friedwald bis zur Erdbeerurne

VON JANA SITTNICK

Eine Sequenz aus Ingmar Bergmans Film „Fanny und Alexander“ zeigt die pompöse Beerdigung des Vaters: Der Trauerzug von Schwarzgekleideten in der Totalen, darin, zentral, die junge Witwe am Arm des Priesters. Schnitt auf ein Bataillon von Fanfarenbläsern, dann die defilierenden Kinder in der Nahen. Alexander murmelt rebellisch „Pisse, Scheiße, Pisspott“. Fanny schaut erstaunt zum älteren Bruder. Später, beim Leichenschmaus, sitzen die Gäste am Tisch wie in einer streng strukturierten Versuchsanordnung. Die Geschwister finden sich am unteren Ende der Tafel, der Mutter vis-à-vis, und sind doch durch Tafelsilber und Benimmregeln weit von ihr entfernt.

Mit einem Filmausschnitt eröffnete der Theologe und Privatdozent Ronald Uden am Mittwochabend eine Tagung der evangelischen Akademie zu Berlin. Noch bis heute wird unter der Überschrift „Räume für die Ewigkeit“ um eine Neubewertung der „Bestattungskulturen in Deutschland“ gestritten. Denn nicht ohne Brisanz stellt sich nach Meinung der Veranstalter die gegenwärtige Lage der Bestattungsformen dar. Immer mehr Menschen wünschten sich, so Studienleiterin Erika Godel, individuelle Varianten der Bestattung, andere Riten und andere Orte ihrer „letzen Ruhe“.

Die übliche Trauerfeier mit Rede, Musik, Grabgang und Erdwurf, das übliche Grabmal und der herkömmliche Friedhof entsprächen immer weniger den Wahrnehmungen vieler Menschen innerhalb der modernen Gesellschaft. Friedwälder, wie in Westfalen, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Seit vier Jahren gibt es die von einer GmbH in Darmstadt ausgesuchten Wälder, in denen man die Asche des Verstorbenen an der Wurzel eines vorab ausgewählten Baumes in die Erde hineingibt, auch in Deutschland. Ein Baum kann für 99 Jahre gemietet werden.

Viele Menschen, so Erika Godel, wollen nicht in einem Grab bestattet werden, von dem sie wissen, dass es in 20 Jahren laut deutschem Bestattungsgesetz geräumt werden muss.

Dass allerdings die Grabbelegungsfrist von 20 Jahren auf Berliner Friedhöfen oft gar nicht mehr eingehalten wird, weil die Friedhofsfläche aufgrund der geringen Begräbniszahl nicht „ausgelastet“ ist, stellt ein anderes, die Friedhofsverwaltungen betreffendes, ökonomisches Problem dar. Denn wo kommt das Geld her, wenn die Menschen immer älter werden, nicht mehr so schnell sterben und vor allem nicht auf dem Friedhof liegen wollen? Die Friedhöfe finanzieren sich zum großen Teil über Begräbnisse, bei den kirchlichen Friedhöfen fließt das Geld in die Kassen der jeweiligen Kirchengemeinde, bei kommunalen Friedhöfen in die der Stadt.

Ein Thema, viele Fragen. Ronald Uden übt sich vor dem Hintergrund des breiten Argumentationsangebots in der Kunst der Selektion. Der Pfarrer aus Burgdorf bei Hannover, der auch eine Dozentur für Praktische Theologie und Kulturwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg innehat, spannt in seiner einführenden Rede den Bogen zwischen „Ritenmonopol“ und „Discountbegräbnis“.

Der Sarg-Discount

Mit Ritenmonopol meint er den Ablauf jener bürgerlich-christlichen Beerdigung mit Prunk und Pomp, wie sie in „Fanny und Alexander“ zu sehen ist. Deutlich wird hier, dass diese Kultur selbst schon gebrechlich ist, dass sie, ähnlich wie das Konzept der bürgerlichen Familie, dem Gestern angehört. So verweist Uden auch, und damit liegt er noch ganz im Duktus der Veranstalter, auf die Rückläufigkeit der konventionellen Zelebrationsformen. Er hat auch den Mut zur Lücke und gesteht ein, dass es für die Kirche wegen mangelnder Alternativangebote schwierig ist, der veränderten Lage gerecht zu werden.

Udens zweiter Filmausschnitt wechselt ins – unfreiwillig – komische Fach. Er zeigt einen Berliner „Sarg-Discount“, der mit einer Art Leichentourismus die Preise in den Keller stürzen lässt. Die Überreste Verstorbener werden im Truck nach Tschechien gefahren, dort im Krematorium nahe der Fernverkehrsstraße verbrannt und als Asche für die Urnenbestattung heimgebracht. Sechzig Euro koste das Verbrennen beim böhmischen Nachbarn, in Berlin müsse man, so der lakonische Off-Kommentar, das Fünffache bezahlen.

Die Absurdität des Gezeigten bleibt nicht ohne Wirkung. Vereinzeltes Kichern im Saal, häufiges Kopfschütteln bei den vorrangig älteren Tagungsteilnehmern. Dozent Uden setzt noch eins drauf und informiert sein Publikum über Billigsärge aus stabiler Pappe, so genannte Peace-Boxes, die in der Schweiz und in Großbritannien bereits zum Einsatz kämen. Das Argument der Hersteller, dass die Pappe im Erdreich schneller „umgesetzt“ sei und sich somit die Ruhezeit der Toten verkürze, verweise, so Uden, auf einen wichtigen Zusammenhang: den der fortschreitenden Technisierung von Bestattung und ihrer – ökonomisch begründeten – Rationalisierung.

Wo aber bleibt dabei der Mensch – mit seiner Angst vor dem Tod? Mit seinem Bedürfnis nach Trauer und Trost? Ronald Uden stellt, aller Weltlichkeit zum Trotz, eine „Konstanz der Riten“ fest, benennt das Ritual als körperlich ausgeführte Handlung, die Gefühle komprimiert, dem Abschied vom Toten die nötige Würde verleiht und den Trauernden Heilung verspricht. Ebenso sieht er die Existenz von „heiligen Orten“, Orten des Gedenkens, in allen Kulturen und hält sie für unabdingbar, da sie „die Unbegreiflichkeit des Todesereignisses begreifbar“ machten.

Die heiligen Orte

Nach der Rede entspinnt sich eine wenig an der Praxis einer zu erneuernden Bestattungskultur orientierte Diskussion um Heiligkeit. Ob man denn „heilige Orte“ sagen dürfe und nicht lieber „Kraftorte“, wird gefragt, ob man einen Friedhof mit „Nazi-Größen“ als heilig bezeichnen dürfe. Uden ist in diesem Punkt zu keinem Statement bereit, verweist auf den Einzelfall. Das Publikum aber will Definitionen, Festlegungen, Klarheit.

Eine Dame vom Offenen Kanal fragt Uden, den Pfarrer, mit spitzer Stimme nach der Beschaffenheit der Seele, er sei doch Seelsorger. Ein junger Mann erzählt von seiner „äußersten Empörung“ darüber, dass die Grabsteinplatten der Urgroßeltern und deren Nachbargräber „einfach platt gemacht“ wurden. Schwere liegt am Mittwochabend in der Luft des Tagungsraums. Was aber bedeutet „veränderte Bestattungskultur“ in der Praxis?

Schaut man sich in Berlin um, kann man entdecken, dass es vielfältige Formen gibt. Dass es einen osmanischen Friedhof gibt, „Türk Sehitlik“ , neben dem Lilienthal-Rollfeld am Columbiadamm. Lange war er der einzige islamische Friedhof Mitteleuropas und ist bis heute türkisches Hoheitsgebiet. 1798 hat Kaiser Friedrich Wilhelm III. ein Grundstück an die Gesandtschaft des Osmanischen Reiches abgetreten, weil deren erster Diplomat in Preußen, Ali Aziz Effendi, verstorben war und nach muslimischem Brauch bestattet werden sollte.

180 Gräber versammelt der kleine Friedhof, der keine Begräbnisse mehr durchführt, aber mit einer prunkvollen neuen Moschee aufwartet. In traditionellem osmanischen Stil und nur aus Spendengeldern sei das Gebäude finanziert worden, meint ein Mitarbeiter. Kunstvoll vergitterte Fenster, dicke Teppiche und farbenprächtige Ornamentmalerei an Decken und Wänden erinnern an „1001 Nacht“.

Verstorbene Muslime übrigens müssen auf der rechten Seite liegend und mit dem Blick gen Mekka, also Westen, bestattet werden. Den Preußen sei damals ein Fehler passiert, so der Friedhofsmitarbeiter, man hätte sich in der Richtung vertan und die Grabsteine nach Süden gesetzt.

Wer es kunstvoll und ein bisschen gothic mag, wird fündig am Mehringdamm. Der „Friedhof am Halleschen Tor“ ist ein Verbund aus vier Friedhöfen, die ältesten von ihnen wurden 1735 errichtet, als Armenfriedhöfe außerhalb der Stadtgrenzen. Im 19. Jahrhundert wandelten sich Stadt und Status, und man begrub hier bedeutende Personen.

Die Gräber lesen sich auch wie ein „Who is who“ der preußischen Gesellschaft: Die Salondamen Rahel Varnhagen und Henriette Herz liegen hier, die Dichter E.T.A. Hoffman und Adalbert von Chamisso, die Industriellenfamilien Schering und Siemens. Auf dem Grab von Johann Moehsen, dem Leibarzt Friedrich des Großen, streckt sich kunstvoll eine antikisierte Statue aus, die Göttin Hygieia, Schutzpatronin der Mediziner. Marode Familiengruften mit abgedeckten Dächern und leeren Steinsärgen gibt es auch.

Die Event-Bestatterin Claudia Marschner versucht, den Wunsch nach Individualität umzusetzen. Bei ihr soll es nie wieder 08/15-Bestattungen geben, meint sie, sie nehme jeden Verstorbenen so wichtig wie einen Elvis Presley. Event sei bei ihr Ereignis, Veranstaltung, kein Abrutschen ins Partyhafte.

„Das geht auch gar nicht, denn Tod ist immer mit Trauer verbunden.“ Die Form des Abschieds kann allerdings sehr eigen sein. „Als einmal eine alte Frau starb“, erzählt die Bestatterin, „beklebten die Enkel ihren Sarg mit Kastanien, stellten ein Lichtermeer von Teelichtern in die Kapelle und spielten ‚My Way‘ von Sinatra.“

Auf Marschners Website kann man bunte Urnen in Erdbeerform oder mit Leuchtherz bestellen.